Museumspädagogik: Kunst auf Augenhöhe
Wenn sich Bild und Betrachter begegnen sollen, braucht es neue Wege der Kunstvermittlung. Kinder verändern Museen. Wie? Beispiele aus Düsseldorf und Emden.
Düsseldorf. Die kleinen „Eroberer“ tapsen durch die hohen Gänge. Neugierig schauen sie um sich — und auf die Bilder an den Wänden. Jeder hat zur Verstärkung einen kuscheligen Freund mitgebracht, den er fest in der Hand hält. Dann setzen sich die zwei- bis fünfjährigen Kinder zusammen mit einigen Frauen auf den Fußboden eines Ausstellungsraums.
So beginnt das Video „Auf Augenhöhe“, das ein im vergangenen Jahr von der Bundesregierung ausgezeichnetes Projekt der Emder Kunsthalle dokumentiert. „Wir haben gemeinsam mit Kindergartenkindern einen Ausstellungsraum gestaltet“, erklärt Claudia Ohmert, Leiterin der Museumspädagogik an der Kunsthalle. „Wir wollten herausfinden, wie früh man sinnvollerweise mit Kindern Kunst betrachten kann“, sagt die Projektinitiatorin und Mutter eines kleinen Jungen, der mithalf, ihren Blick auf Kunst zu verändern.
Kinder erobern das Museum. Dahinter steckt einerseits die von den 68ern erhobene Forderung, die Bildung zu demokratisieren, also möglichst viele (auch bildungsferne) Menschen in die Wissensgesellschaft zu integrieren, und andererseits die Hoffnung, dass ein frühes Heranführen ans Museum spätere Verweigerung vermeidet.
In Deutschland traf dieser Anspruch auf Musentempel und Bildungshorte, die sammelten, bewahrten und forschten und sich dabei herzlich wenig um die Vermittlung der Kunst an die Besucher kümmerten. Die Wandlung zum Lernort der modernen Wissensgesellschaft fällt ihnen schwer. Die Angst vor effekthaschender Verflachung, vor dem Museum als oberflächlichem Erlebnispark hält sich ebenso hartnäckig wie der Kulturbürger, der sich durch Kinder gestört fühlt.
Die Anfänge der Vermittlungsarbeit liegen in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert, als der Kunsthistoriker Alfred Lichtwark in der Hamburger Kunsthalle erstmals Übungen zur Betrachtung von Kunst anbietet. In den 1970er Jahren gehen die Museen dazu über, das Publikum in ihre Ausstellungen einzubeziehen, sie entdecken Kinder und Jugendliche.
Das Marketing mit Shops, Service und Beratung zieht in den 1980er Jahren in die zahlreichen Museumsneubauten mit ihren Groß-Ausstellungen ein. Die Museumspädagogik, die eine „Gebrauchsanleitung“ für das Museum erarbeiten soll, verlässt endgültig ihr „stilles Kämmerlein“.
Heute orientieren sich Museum wie Künstler vielfach an den Besuchern. Julia Hagenberg, Leiterin der Abteilung Bildung an der Stiftung Kunstsammlung NRW in Düsseldorf: „Wir pfropfen den Menschen nichts auf, sondern knüpfen an ihre Lebenswelt an.“ Partizipation heißt die Losung. Besucher sollen Kunst kommentieren und nutzen.
Zum Beispiel im Labor der Kunstsammlung: Viele erinnern sich an die 3D-Bodyscans von Karin Sander, die 2010 als erste zeitgenössische Künstlerin in Düsseldorf Besucher zum Teil ihres Kunstwerks machte. Ein anderes Beispiel ist die Medienwerkstatt Greenbox im Düsseldorfer K21: Hier wirkt die Generation Facebook seit 2012 an Foto- und Videoprojekten mit.
Julia Hagenberg erklärt: „Die Vermittlung ist sehr wichtig.“ Dabei geht es weniger darum, dass die Menschen Wissen erwerben als vielmehr die Kompetenz, sich Kunst selbst zu erschließen. Frei nach dem Motto: Was man nur hört, geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus; was man sieht, bleibt schon länger haften. „Den größten Erfolg hat man aber, wenn man sich beteiligt.“
Zurück zu den Kindern und den speziell für sie konzipierten Museen, die mit ihrem spielerischen Ansatz seit den 1990er Jahren in Deutschland ausprobieren, was später häufig in „normale“ Museen Einzug hält. Beispiel: Das „Hands on please touch“-Prinzip — anfassen erwünscht, bestens bekannt aus der interaktiven Ausstellung Phänomenta in Lüdenscheid. „Kindermuseen machen ihre Besucher zu Akteuren.
Gerade in der gegenwärtigen Bildungsdiskussion bieten Kinder- und Jugendmuseen die immer wichtiger werdende Vermittlung von Allgemeinwissen, von Kunst und Kultur auf dem Weg in die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, schreibt der Bundesverband Deutscher Kinder- und Jugendmuseen selbstbewusst über sich.
Claudia Ohmert kann das durch ihre Projekt-Erfahrung mit Kindern als Kunst-Vermittlern bestätigen: „Die Kinder haben die Bilder ganz anders ausgewählt, so dass Bildergeschichten erzählt wurden. Und sie haben sie niedriger gehängt, auf Augenhöhe eben.“ Das war für alle, auch für die Erwachsenen, interessant. „Die Familien blieben im Schnitt eine halbe Stunde lang in dem Raum.“ Ein messbarer Erfolg. „Kinder verändern die kuratorische Sicht auf Kunstwerke. Das ist eine riesige Chance für die Museen. Sie können ein Ort werden, der spiegelt, was in der Gesellschaft passiert.“
Ob über Kindermuseen oder gezielte Aktionen mit Kindern: „Wir müssen unseren pädagogischen Impetus zurückstellen und fragen, was die Besucher interessiert, und dann vielleicht ein Werk zeigen, das dazu passt“, ist das Fazit von Claudia Ohmert. „Denn über die Begeisterung kommt man ans Wissen.“ Und ins Museum. Auch wenn oder gerade damit es sich verändert.