Timm Ulrichs: „Mit 70 werde ich entdeckt“

Hannover (dpa) - Vielleicht ist es für die große Timm-Ulrichs-Retrospektive in Hannover noch zu früh: Der 70-jährige Pionier der Konzeptkunst und Meister der Selbstinszenierung entwickelt noch immer unermüdlich neue Ideen und hat nichts an Humor und Ironie eingebüßt.

Das Sprengel Museum und der Kunstverein widmen dem selbst ernannten „Totalkünstler“ ab sofort und bis zum 13. Februar eine Rückschau auf 50 Jahre seines Schaffens. „Betreten der Ausstellung verboten“ lautet der Titel - wer es doch wagt, landet zwischen Werken, die mit intellektuellem Witz und sprachlicher Analyse jonglieren und zur Kunst selbst auf ironische Distanz gehen.

So sieht sich der Besucher in Hannover zwei Tierpräparaten gegenüber - „Wolf im Schafspelz - Schaf im Wolfspelz, ein Verwandlungsstück“ heißt die neueste Arbeit des Künstlers, die aus zwei Tieren besteht, die das Fell getauscht haben. „Das sind so Ideen, die ich habe, am Kaffeetisch oder im Zug bei Bielefeld, wenn ich aus dem Fenster schaue“, sagte Ulrichs bei der Präsentation der Ausstellung.

Dann steht da auch ein Grabstein mit seinem Namen und Geburtsdatum, „Denken sie immer daran mich zu vergessen“, ist dort hineingemeißelt. Oder „Timm Ulrichs' Kopfsteinpflaster“, dabei handelt es sich um Betonabgüsse vom Kopf des Künstlers, die den Boden eines ganzen Ausstellungsraums füllen.

„Man muss hartnäckig sein, seine Kritiker überleben und dann doch Recht haben“, sagt der Künstler, der mit seinem vielschichtigen Werk seiner Zeit voraus war und den Arbeitsweisen vieler heutiger junger Künstler vorgegriffen hat. Ulrichs ist ein großer Selbstdarsteller, nicht aber ein Selbstvermarkter, der wie andere große Summen mit seinen Werken verdient - so oft, wie er dies im Museum sagt, scheint es ihn zu schmerzen. „Die Pioniere sind schon immer angeschmiert gewesen“, meint er, blickt jedoch optimistisch und mit Humor nach vorne: „Jetzt bin ich 70 geworden und werde entdeckt.“

Erstmals für Aufsehen sorgte Ulrichs 1965, als er sich in Berlin als „erstes lebendes Kunstwerk“ in einem Glaskasten präsentieren wollte - die Aktion wurde zunächst verboten und kam später doch zur Aufführung. Auch in den folgenden Jahrzehnten machte er mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam und erklärte sein eigenes Leben konsequent zur Kunst. So ist in Hannover das Protokoll einer Detektei ausgestellt, die Ulrichs anlässlich der „Experimenta 4“ in Frankfurt 1971 einen Tag lang überwachte. Die „Durchsicht: durchs Ich. Eine endoskopische Reise“ zeigt die Aufzeichnungen einer von Ulrichs verschluckten Kamera.