Tino Sehgal bekommt Goldenen Löwen

Venedig (dpa) - Der deutsch-britische Künstler Tino Sehgal ist bei der 55. Kunst-Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet worden.

„Es ist eine große Ehre, ich bin ein bisschen überrascht und ich freue mich“, sagte der 36 Jahre alte Sehgal nach der Vergabe des Preise in einer feierlichen Zeremonie am Samstag in Venedig. Die Auszeichnung für den besten nationalen Pavillon wurde von der fünfköpfigen Jury unter Vorsitz der Tate-Kuratorin Jessica Morgan (London) an Angola vergeben.

Sehgal, der in Berlin lebt, erhielt den Löwen für seinen Beitrag in der Hauptausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“ des italienischen Kurators Massimiliano Gioni. Das Werk besteht nach Sehgals Angaben aus zwei bis drei Menschen, die auf dem Boden knien. Einer von ihnen singt, einer tanzt. „Relativ langsame Bewegungen, quasi skulptural“, erklärte der Sohn eines Inders und einer Deutschen. „Eine bewegende Konstellation oder sich bewegende Skulptur könnte man sagen.“ Die Jury lobte Sehgal für die „Klasse und Innovation, mit der seine Arbeit zur Öffnung der künstlerischen Gattungen beigetragen hat.“

Den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag erhielt der Pavillon von Angola. Mit dem südwestafrikanischen Land wurde einer der Newcomer auf der Biennale ausgezeichnet. Der in London und Newport ausgebildete Fotograf Edson Chagas stellt in dem Pavillon unter dem Motto „Luanda, Encyclopedic City“ eine Serie von 23 großformatigen Fotos aus, als Teil seines Projektes „Found Not Taken“.

Der deutsche Beitrag, unter anderem mit einem Werk des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei, ging leer aus. Vor zwei Jahren hatte der mit Werken des 2010 gestorbenen Künstlers Christoph Schlingensief gestaltete deutsche Pavillon den Goldenen Löwen erhalten.

Chagas, Jahrgang 1977, kreist in seiner Fotoserie die Alltagsgegenstände der Wegwerfgesellschaft ein, in diesem Fall die seiner Heimatstadt: Ein unförmiger kaputter Stuhl, eine Plastiktüte über dem Kopf, ein weggeworfenes Metallgestell, das an einem Pfahl lehnt. Nicht immer finde er diese Stillleben unserer Zeit zufällig gleich in der richtigen Perspektive, sagte er in einem Interview mit „Contemporary And“: „Ich fand Sofas und Waschmaschinen, aber auch Stühle, das waren die üblichsten Objekte.“ Entscheidend sei für ihn die Beziehung zwischen einem Objekt und seiner direkten Umgebung.

Den silbernen Löwen für den vielversprechendsten jungen Künstler bekam Camille Henrot aus Frankreich. Besondere Erwähnungen gab es für die US-Amerikanerin Sharon Hayes, den Italiener Roberto Cuoghi sowie Zypern, Litauen und Japan.

Tino Sehgal, der Finalist beim diesjährigen Turner-Preis ist, konfrontiert seine Zuschauer mit einzigartigen surrealen Situationen. Seine Arbeit wird als Meditation über den Stellenwert von Kunst und Raum bezeichnet. Der in Berlin lebende Künstler erlaubt nicht, dass seine Kunst reproduziert oder dokumentiert wird, hält die Biennale fest: „Sie soll außergewöhnlich bleiben, verbunden mit der direkten, physischen Erfahrung von Kunst.“

Der 36-Jährige wurde in London geboren und wuchs in Deutschland auf. Er hatte schon 2005 gemeinsam mit Thomas Scheibitz den deutschen Pavillon auf der Biennale gestaltet. Im vergangenen Jahr nahm er an der Documenta 13 in Kassel teil.

Die 88 Länder-Pavillons und die Hauptschau können die Besucher noch bis zum 24. November besichtigen. Die 55. Kunst-Biennale war am Samstagmorgen offiziell eröffnet worden. Die Veranstalter rechnen mit insgesamt etwa einer halben Million Besucher auf den 46 000 Quadratmeter großen Areal in der Lagunenstadt.