POP: Einschlagende Bruderschaft
Vor allem in den Fußballstadien kennt man ihre Songs. Da passt’s ja, dass das neue Album der Fratellis pünktlich zur EM erscheint. Auch wenn Schottland gar nicht dabei ist.
Düsseldorf. 15. Mai 2008: Während John Lawler, der Frontmann der Fratellis, in Glasgow das Telefonat aus Deutschland annimmt, feiern in St. Petersburg die Massen.
Einen Tag zuvor hat Zenit in Manchester den Uefa-Cup geholt. Gegen die Glasgow Rangers. "Klar habe ich das geschaut." Lawler scheint zu überlegen, warum das den Interviewer interessieren könnte.
Nach ein paar Sekunden kommt er aber von selbst drauf. "Ich fand’s super, logisch." Als amtlicher Celtic-Fan eigentlich auch Ehrensache.
Trotzdem, die Nachfrage war notwendig. Für manche wiegt Lokalpatriotismus auf dem internationalen Fußballparkett schwerer als Revierkonkurrenz. Für den gebürtigen Glasgower Lawler aber offenbar nicht.
Als Schotte findet er es auch "genial", dass die Engländer nicht bei der Europameisterschaft dabei sind. "Da habe ich erstmal laut lachen müssen." In Richtung Rangers setzt er maliziös nach: "War schon ein gutes Spiel gestern!"
Und das, obwohl die Siegerehrung ohne "Chelsea Dagger" auskam, diesen sträflich gut gelaunten Ohrwurm, der klingt, als würde ein vollbesetzter Pub in kollektive Schlachtgesänge ausbrechen. Gerade mal zwei Jahre ist die zweite Single der Fratellis alt. Trotzdem ist sie für die meisten englischen Fußball-Clubs schon so etwas wie eine inoffizielle Hymne geworden.
Die einen spielen sie beim Einlauf ihrer Mannschaft, andere blenden den Mitgröl-Refrain ein, sobald ein Tor gefallen ist. Und im vergangenen Jahr, als das Uefa-Cup-Finale in Glasgow stattfand und Sevilla in einem rein spanischen Endspiel über RCD Espanyol triumphierte, nahm die andalusische Mannschaft den Pokal in Empfang, während die Nummer aus den Stadion-Boxen dröhnte.
"Schon seltsam, dass das so viele spielen. Der Song hat mit Fußball eigentlich gar nichts zu tun." Lawler spricht, wie man es von einem Schotten erwartet. Als würde er mit einem Hundewelpen kommunizieren - während seine Zunge einen Kaugummi jongliert. "Ist aber schon okay. Ich bin keiner dieser Musiker, die davor erschrecken, wenn ihre Songs plötzlich an jeder Straßenecke laufen. Deswegen mach’ ich’s ja schließlich!"
Richtig so! Für die Kunst allein hat er es auch lange genug gemacht. Genau wie Bandbassist Barry Wallace hatte er in diversen Garagen-Combos gespielt, bis er Anfang 2005 auf einen Aushang in einem Musikfachhandel reagierte. Drummer Gordon McRory suchte nach Gleichgesinnten zwecks Bandgründung.
Das Trio war bald gefunden, die drei Gelegenheitsmusiker schnell aufeinander eingespielt. Diese gemeinsame Wellenlänge besiegelten sie, indem sie alle drei den gleichen Künstlernamen annahmen und so zu den Fratellis wurden. Vom ersten Gig bis zum Einstieg des Debütalbums auf Platz 2 der britischen Charts vergingen dann lediglich 15 Monate.
"Ich kann nicht erklären, welchen Nerv wir da getroffen haben. Ich genieße das einfach nur." Seine Bescheidenheit ehrt den 29-Jährigen, auch wenn jeder, der sich schon einmal den rifflastigen, spaßsüchtigen und hymnischen Songs der Fratellis ausgesetzt hat, genau weiß, warum "Costello Music" mit seinen 13 Punktlandungen von Songs einschlug wie die viel beschworene Bombe. Da wird sich nicht ziellos um die perfekte Melodie herumgewunden, sondern ein Ohrwurm nach dem anderen rausgehauen.
Wenn man Lawler fragt, woher er die Ideen für seine simplen und trotzdem nie anbiedernden Kompositionen nimmt, kommt nicht viel. Lustlosigkeit ist es nicht, die ihn einsilbig macht. Für ihn scheint es einfach nur selbstverständlich, Musik zu schreiben, die anderen gefällt.
Es passt auch zur Attitüde der Band, die vieles gerne im Vagen lässt, die Herkunft ihres Namens beispielsweise. Lange kursierte das Gerücht, er sei dem Jugendfilm-Klassiker "Die Goonies" (1985) entnommen.
Tatsächlich ist Fratelli der Mädchenname von Barrys Mutter, den sich das Trio ausborgte, weil es ihn passend fand. "Hat ja schon was von einer Bruderschaft", deutet Lawler die italienische Urbedeutung des Namens an.
Wäre auch besser, sich nicht allzu schnell auf die Nerven zu gehen, wenn man fast jeden Tag gemeinsam im Tourbus, im Studio, in Clubs und auf Festivalbühnen verbracht hat.
Dass da auch noch ein zweites Album entstehen konnte, grenzt fast an Selbstaufgabe. "Deswegen bin ich jetzt auch erstmal wieder zu Hause. Ganz für mich alleine." Lange konnte Lawler das diesmal nicht genießen. Seit Ende Mai ist er mit seinen Nenn-Brüdern schon wieder unterwegs.