Viele offene Fragen beim Bayreuther „Tannhäuser“
Bayreuth (dpa) - Die ersten Töne der berühmten „Tannhäuser“-Ouvertüre steigen aus dem Orchestergraben empor. Das Vorspiel klingt nicht laut und nach vorne peitschend, eher verträumt, fast zart.
Und man wünschte sich, es würde dunkel bleiben auf der Bühne und die Musik würde einfach so weitergehen.
Aber dann gehen die Lichter natürlich an und man sieht die große Biogasanlagen-Installation, in der nun im dritten Jahr bei den Bayreuther Festspielen die Richard-Wagner-Oper „Tannhäuser“ angesiedelt ist.
Am Donnerstagabend ist deutlich geworden, dass sich das Publikum noch immer nicht anfreunden kann mit der Deutung des Berliner Regisseurs Sebastian Baumgarten. Er erntet Buhrufe, wenn auch einige glühende Fans aufspringen und sich beim Applaudieren besonders Mühe geben.
Einhellig gefeiert dagegen wird Axel Kober, der Hügel-Debütant im Orchestergraben. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf stammt aus Kronach, einem Städtchen im Frankenwald, das nicht weit von Bayreuth entfernt liegt. Das ist eine schöne Geschichte, dass ein gebürtiger Oberfranke eine Art Heimspiel hat. Kober setzt nicht auf Knalleffekte und Pathos, sondern auf Feingefühl. Das Orchester spielt konzentriert, selbst bei den Chorszenen wird es niemals tosend. Mit der Akustik des Hauses kommt Kober zurecht - und klar wird wieder einmal: Auf die Dirigenten und Musiker im Graben ist Verlass bei den Festspielen. Wer Wagner hören will, ist in Bayreuth genau richtig.
Und wer Wagner sehen will? Nun ja. Das Regiekonzept von Baumgarten ging erneut nicht auf. Bei viel zu vielen Szenen fragte man sich: Was soll das? Schön, dass das Konzept hochtrabend im Programmheft erklärt wird. Aber das nützt nun einmal nichts, wenn man bei gefühlten 40 Grad im Festspielhaus sitzt und mit anschauen muss, wie der junge Hirt (Katja Stuber) völlig betrunken über die Bühne torkeln muss. Wie die schwangere Venus (Michelle Breedt) beim Sängerwettstreit auf der Wartburg auftaucht und Balztänze vollführt. Wie der Pilgerzug, der sich gen Rom aufmacht, erst einer Herde Vieh gleicht und als Putzkolonne zurückkehrt. Wie Elisabeth (Camilla Nylund) als schlichtweg durchgeknallte Figur in der Biogasanlage verschwindet.
Und am Ende sind sie dann sowieso alle beisammen, die Bewohner des Venusbergs, dem Ort der sinnlichen Liebe, und die wohlanständigen Menschen der Wartburg. Über die Videoleinwand flimmert Richard Wagners Ausspruch, er schulde der Welt noch einen Tannhäuser. An Selbstbewusstsein mangelt es Baumgarten und seinem Team also wahrlich nicht.
Man weiß es nicht: Soll das alles Klamauk sein? Persiflage? Wenn ja - auf was? Auf Wagner? Auf die Wagnerianer? Auf die Menschheit im allgemeinen? Auf eine bestimmte Gesellschaft? In den Pausen senkt sich übrigens auch der Vorhang nicht. Sollte es jemand tatsächlich vorgezogen haben, nicht in den schattigen und luftigen Festspielpark zu gehen, sondern im Haus zu bleiben, so konnte er zuschauen, wie die Statisterie eine katholische Messe nachspielt. Aber auch das hat nicht dazu beigetragen, die Inszenierung schlüssig erscheinen zu lassen. Im Gegenteil.
Aus der Sängerriege ragt Michael Nagy als Wolfram von Eschenbach heraus, der im dritten Aufzug mühelos Torsten Kerl als Sänger der Titelpartie übertrumpft. Zurecht wird er stürmisch gefeiert. Kerl dagegen wirkt oft, als sänge er mit angezogener Handbremse. Da ist noch Potenzial nach oben. Überzeugt haben die beiden Frauenrollen, Breedt als Venus und Nylund als Elisabeth. Die Festspiele enden am 28. August.