Dostojewski „ultralight“: Schuld und Sühne im DHaus Raskolnikow weiß nicht, wohin mit sich
DÜSSELDORF · Hallo, Hallo. „Hier Radio Raskolnikow! Heute mal wieder mit unserer Krimi-Show – True Crime.“ Genauer: Schuld und Sühne. Munter, aufgekratzt gibt sich die Personnage in Schmuddel-Schlaghosen und taillierten Mänteln aus den 1970er Jahren.
Der eine spielt auf einem Flügel, der andere Alleinunterhalter trällert munter alte Songs vor sich her. Und läutet den Werbe-Jingle ein. Trash und Trödel sieht man nicht nur in allen Ecken in dem Uralt-Tonstudio, in dem es regelmäßig um Mord und Totschlag geht.
Im Trash-Stil erscheinen auch die Figuren in „Schuld und Sühne – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“. So der Titel eines knapp zweistündigen Parforceritts durch Dostojewskis epischen Roman über Raskolnikow, der psychisch zugrunde geht – an seinem Verbrechen: Er erschlägt im Zorn zwei Frauen mit einer Axt. Barbara Bürk und Clemens Sienknecht – Spezialisten in Sachen Verulkung von Klassikern der Weltliteratur – haben im Düsseldorfer Schauspielhaus mal wieder zugeschlagen. Dieses Mal nehmen sie Dostojewskis Roman von 1866 „Schuld und Sühne“ ins Visier, der in neueren Bearbeitungen den objektiveren Titel „Verbrechen und Strafe“ trägt.
Die verzweifelten inneren Kämpfe des Helden, die Frage nach seiner Schuld und die existenzielle Panik des Doppelmörders vor einer Bestrafung breitete Dostojewski einst in diesem Opus Magnum von mehr als 700 Seiten aus. Länge, Weltfülle und Intensität passen nicht mehr in unsere Zeit von ICE, Mini-Formaten und Ultrakurz-Geschichten. Noch weniger zu ungeduldigen TV-Zappern und Smartphone-Surfern. Das meinen zumindest Bürk/Sienknecht und stellen das Manko in ihrer Adaption bloß.
Ulk, Klamauk und Comedy dominieren in ihrer Radio-Show mit den Romanfiguren, wie Rodja Raskolnikow, Sonja Marmeladowa, Dunja Raskolnikowa und Kommissar Porfirij Petrowitsch. Die verknappten Handlungssplitter werden eingebettet in und regelmäßig unterbrochen von Werbe-Jingles, Musiknummern und Schnulzen der 70er und 80er Jahre. Auf tiefgründige Monologe verzichten sie und bieten Dostojewski ultralight, im Pocket-Format quasi.
So sitzen sie und lauschen der von Gert Westphal vorgelesenen Hörfassung. Unverkennbar die Stimme des Vorlesers der Nation, mit dem mehrere Generationen ihre ersten Hör-Erlebnisse hatten. Wenn es zu langatmig wird, rutscht Raskolnikow quietschend mit der Nadel über die Vinylplatte. Und überspringt schon mal einige Hundert Seiten. Komisch wirkt auch, wenn die Darsteller die gerade von Westphal vorgelesene Bewegung auf der Bühne umsetzen. Zumindest haben sie dann die Lacher auf ihrer Seite.
Die beiden Morde selbst und andere Schlüsselszenen spielen in einem kleinen Guckkasten hinter Glas. Wie in Comics oder im Kasperle-Theater sieht man nur einen Axt-Schlag. Reichlich Krach. Und schon fallen Täter und Opfer einfach runter in die Kiste, werden unsichtbar.
Doch in manchen Szenen weichen komödiantische Satire und seifig schnurriges Unterhaltungsformat einer ergreifenden Darstellung des Täters. Als eine Art „Hitchcock-Psycho“ kommt Moritz Klaus manchmal über die Rampe. Anfangs ganz normal, sympathisch, locker. Plötzlich extrem neurotisch, fahrig und gestört. In braunem Mantel oder mit orangefarbener Decke über die Ohren gezogen, zittert er als Raskolnikow, reibt die Hände an der Hose, nagt an den Fingernägeln und weiß nicht, wohin mit sich. Dann schreit er weinerlich und möchte am liebsten gleich vom Kommissar abgeführt werden. Kurze Szenen, die das Romanthema streifen. Hauptdarsteller Moritz Klaus spielt sich frei als armer, wütender Student, der an seiner Tat zu verglühen droht. Ein großes Talent: Moritz Klaus. Er wurde bereits für seine erste bedeutende Filmrolle in „Im Westen nichts Neues“ gefeiert.
Fazit: Wer etwas über diesen Raskolnikow, seine Untaten und seine psychischen Befindlichkeiten erfahren will, wer zudem gerne über sich und die inneren Ängste schmunzelt, der ist hier richtig aufgehoben. Weniger sind es diejenigen, die tiefer in Dostojewskis Abgründe vordringen wollen.
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