Angela Merkels Ruck-Rede
Die Kanzlerin gibt ihren Parteifreunden neuen Elan.
Eine neue Angela Merkel? Die 1001 Delegierten des Karlsruher CDU-Parteitages erlebten jedenfalls eine Vorsitzende, die nicht den kalt kalkulierenden Macht-Apparatschik gab, sondern Politik mit Emotionen verband. Selten hat man Merkel angriffslustiger gegen die Oppositionsparteien gesehen. Die zehnminütigen Ovationen zeigten die Dankbarkeit der Funktionäre, endlich Politik mit mehr Engagement vertreten zu können.
Die Parteivorsitzende legt plötzlich Wert auf ein christdemokratisches "Wir-Gefühl" - gerade rechtzeitig vor dem baden-württembergischen Urnengang im März kommenden Jahres. Die Partei und an ihrer Spitze die Vorsitzende wissen um die psychologisch zentrale Schwächung, die eintritt, wenn die konservative Bastion im Südwesten der Republik - quasi zur Halbzeit der Berliner Legislaturperiode - an die rot-grünen Mitbewerber fallen würde.
Das gesamte bürgerliche Vorhabenpaket zum Umbau der Republik - schon jetzt im Bundesrat kaum durchsetzbar - wäre hinfällig; Merkel und ihre Koalition würden zu politisch zahnlosen Tigern degenerieren.
Die Kanzlerin kämpfte mit rhetorisch ungeahnter Anstrengung gegen Frust und Depression in den eigenen Reihen. Die Delegierten dankten es ihr mit einem nur knapp schlechteren Ergebnis als vor zwei Jahren. Das ist kein Beinbruch. Merkel sieht selbst ein, dass das Problem einer unmotivierten Basis tiefer liegt und mit nur einer Rede nicht getilgt werden kann.
Zwar befindet sich Merkels CDU nach fünf Jahren Regierungsverantwortung in weit besserem Zustand als die SPD im vergleichbaren Jahr 2003. Doch nach der beifallsumrauschten Rede wird schnell der Alltag in der CDU Platz greifen. Denn Probleme bleiben.
Wie geht man mit den überaus erfreulichen Folgen des Wirtschaftsaufschwungs um? Das bisher so konsequente Nein des Finanzministers zu Steuersenkungen wird umso schwerer durchzuhalten sein, je mehr die Konjunktur anzieht und je mehr Geld in die Kasse kommt. Eine Steuersenkung kann mittelfristig kein Tabu sein. Das ist aber eine Grundsatzentscheidung; sie kann nicht ausschließlich in der Verantwortung von Finanzminister Schäuble liegen. Hier ist die Kanzlerin gefordert.