Mindestlohn seit 100 Tagen in Kraft Eine Schonfrist gab es nicht
Kommentar
Wäre der Mindestlohn ein Wesen aus Fleisch und Blut, etwa ein Politiker mit neuen Aufgaben, dann bekäme er eine Schonfrist. 100 Tage sind dafür allgemein üblich. Exakt so lange ist jetzt die allgemeine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde in Kraft. Doch von Schonung kann beim Mindestlohn keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Noch bevor er im Gesetzblatt stand, wurde kräftig drauf gehauen. Jobkiller, Bürokratiemonster waren zentrale Schlagwörter.
Gemessen an der Aufregung hat sich der Mindestlohn allerdings erstaunlich gut „eingearbeitet“. Es fahren weiter Taxen durchs Land, Friseure bieten immer noch ihre Dienste an und in den Restaurants sind die Kellner nicht ausgestorben. Kurzum, sämtliche Horrorszenarien haben sich als haltlos erwiesen. Jedenfalls nach aktuellem Stand.
Das mag zunächst einmal an der blendenden ökonomischen Verfassung liegen, in der sich Deutschland schon seit längerer Zeit befindet. Rund 43 Millionen Menschen waren im vergangenen Monat beschäftigt, mehr als zwei Drittel davon sozialversicherungspflichtig. Ein Rekord. Registriert wurde seit Jahresbeginn allerdings ein Abbau der Mini-Jobs.
Ein weiterer Grund für die wirtschaftlich eher unbedenkliche Wirkungsweise des Mindestlohns sind die zahlreichen Ausnahmen und Übergangsbestimmungen. Praktikanten in der Ausbildung oder im Studium etwa fallen nicht unter den Mindestlohn. Genauso wie Langzeitarbeitslose, die einen Job antreten. Saisonarbeiter in der Landwirtschaft wiederum dürfen noch bis Ende 2016 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Ähnliche Regelungen gibt es für Fleischer und Beschäftigte in Wäschereien.
Vor diesem Hintergrund scheinen die beklagten Bürokratielasten eher ein Vehikel zu sein, um den Mindestlohn generell auszuhebeln, anstatt ihn effektiv zu kontrollieren. Bleibt noch die Tatsache, dass die Mindestbezahlung zu Preisanhebungen etwa im Taxigewerbe und bei anderen Dienstleistungsbranchen geführt hat. Aber das ist auch der Preis für ein bisschen mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit. Denn überall billig einkaufen und gleichzeitig maximal verdienen - diese Rechnung kann nicht aufgehen.