Kommentar Die NRW-Kriminalitätsstatistik bietet viel Deutungsspielraum

Meinung | Düsseldorf · NRW-Innenminister Herbert Reul hat die polizeiliche Kriminalitätsstatistik vorgestellt. Zahlen, die nicht die komplette Realität abbilden können. Aber viel Raum für Interpretationen lassen.

NRW-Innenminister Herbert Reul stellte die Kriminalitätsstatistik vor. Foto:dpa

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Mit der Kriminalitätsstatistik ist es wie mit der Interpretation eines sprachlich verschlüsselten Gedichts. Es lässt sich vieles herein- und herauslesen. Verständlich, dass da der Vortragende, Landesinnenminister Herbert Reul, seine Interpretation gleich in die Überschrift des von ihm präsentierten Zahlenwerks schreibt: „Erfolgreicher Trend setzt sich fort: Kriminalität in NRW weiter auf dem Tiefstand.“ Der Subtext: Die ihm unterstellte Polizei leistet gute Arbeit. „In meiner Amtszeit hatten wir die besten je gemessenen Aufklärungsquoten“, lobt der CDU-Mann denn auch sich selbst.

Auch wenn die Gesamtzahl der registrierten Taten sinkt – Senioren dürften verunsichert sein über das Plus von 38 Prozent beim „Betrug zum Nachteil älterer Menschen“. Ebenso bedrückend die Verdopplung bei der Kinderpornografie. Und die fast 20-prozentige Steigerung der Fälle von Kindesmissbrauch. Natürlich gibt es dafür gute Erklärungen: dass die Polizei ihre Ermittlungen in diesen Bereichen drastisch verstärkt hat. Hier zieht Polizeiarbeit ins Hellfeld, was sich vorher im Dunkelfeld abspielte. Die Ermittlungsarbeit gerade im Bereich der Sexualdelikte führt zu Verfolgungsdruck – mit der damit verbundenen Hoffnung auf Opferschutz in der Zukunft.

Dass Corona auch die Kriminalitätsstatistik verändert, war zu erwarten. Mehr Internetbetrug, weil auch die Täter ihren Opfern nicht mehr so oft im analogen Leben begegnen. Weniger Einbrüche (na ja, wenn die Leute den ganzen Tag zu Hause sind), weniger Straßenkriminalität (dito). Aber dann ist da auch eine eher bizarre Entwicklung: Es gab mehr Taschendiebstähle. Wie passt das zu dem von uns allen verinnerlichten 1,5-Meter-Abstandsverhalten? Das lässt schon ein wenig ratlos zurück. Ist aber auch symptomatisch für die mit Vorsicht zu genießenden Zahlen. Sie beruhen auf dem, was die Polizei feststellt. Es geht nicht um richterlich festgestellte Taten. Die Polizeistatistik ist kein Spiegelbild der Kriminalitätsrealität, sondern nähert sich ihr allenfalls an. Und lässt viel Interpretationsspielraum – als Basis für politische Maßnahmen.