Meinung Merkels Besuch zementiert die Politik des Fernhaltens

Mit dem Düsseldorfer Rosenmontagszug hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan vermutlich nicht allzu viel am Hut. In diesem Jahr könnte das bunte Treiben in Almanya aber durchaus zum Gesprächsthema in Ankara taugen — dass sich der konservativ-islamische Politiker als Kurdenschlächter gefällt, ist nicht zu erwarten.

Foto: Judith Michaelis

Genau so sieht ihn aber Jacques Tilly: Der Wagenbaumeister der Düsseldorfer Karnevalisten, der traditionell wenig Scheu vor politischen Themen und heißen Eisen hat, zeigt Erdogan, wie er mit einem Kämpfer des Islamischen Staates anstößt; aus den Gläsern schwappt Blut statt Wein, Kurden ist in Großbuchstaben darauf zu lesen. Obwohl der Mottowagen gestern stürmchenbedingt nur kurz zu sehen war, folgte der Protest der türkische Generalkonsulin in Düsseldorf umgehend: Der Wagen mit dem Erdogan-Motiv solle sofort verhüllt werden.

Verhüllen, totschweigen, einschüchtern: So sieht seit Wochen die Informationspolitik der türkischen Regierung aus den umkämpften und von der Armee eingeschlossenen kurdischen Städten im Südosten des Landes aus. Wer dennoch berichtet, sieht sich massiven Repressalien ausgesetzt. Der Chefredakteur und ein weiterer Journalist der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ sind wegen kritischer Berichterstattung seit November eingesperrt — ihnen droht lebenslange Haft. „Journalisten sind im Gefängnis. Wissen Sie es nicht?“ titelte das Blatt gestern zum Besuch der Bundeskanzlerin in der Türkei auf Deutsch. Merkels einzige Sorge seien die Flüchtlinge.

In der Tat haben die Themen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Pressefreiheit beim Staatsbesuch keine große Rolle gespielt. Deutschland und die EU brauchen die Türkei, das Land gilt als Schlüsselstaat in der Flüchtlingsfrage. Den Europäern ist zu erst daran gelegen, den Zuzug von Flüchtlingen vor allem aus Syrien zu begrenzen. Für drei Milliarden Euro — gern mehr — und politische Zugeständnisse soll Ankara die europäischen Außengrenzen sichern, sprich: Geflüchtete von der Weiterreise nach Europa abhalten.

Den Preis für diese Politik des Fernhaltens zahlen jetzt die Zehntausenden Syrer, die in den vergangenen Tagen vor den Luftangriffen auf Aleppo an die Grenze zur Türkei geflohen sind. Über ein Kontingentsystem sollen sie und andere in Europa verteilt werden, verspricht Merkel mit Blick auf den EU-Gipfel nächste Woche. Wohl wissend, dass die meisten Staaten dabei nicht mitspielen werden.