Meinung Vorfälle in Chemnitz: Der Fisch stinkt vom Kopf her
Die politische Dimension von Chemnitz ist nicht, dass dort zwei Ausländer mutmaßlich einen Deutschen niedergestochen haben. Ein Mordfall erfordert keine Demonstrationen, sondern Handschellen. Die politische Dimension liegt darin, dass in Chemnitz ein rechter Mob auf so etwas nur gewartet hat, um puren Hass auszuleben.
Und Macht, von der man sich fragt, wie groß sie schon ist. Er liegt darin, dass dieser rechte Mob unterstützt wurde durch „besorgte Bürger“. Und durch den politischen Arm der Militanten, die AfD. Große politische Bedeutung hat auch die Tatsache, dass dergleichen in anderen Städten vor allem des Ostens jederzeit geschehen könnte, und, siehe Freital oder Bautzen, auch schon geschah.
Michael Kretschmer war 16 Jahre alt, als sich der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen ereignete. Vielleicht hat er diese kulturelle Urschande der damals noch neuen Bundesländer nicht bewusst wahrgenommen. In vielen Regionen hat man seither viel Engagement aufgebracht, um diesen Ungeist zu überwinden. Nur teilweise mit Erfolg. Als Ministerpräsident und Christdemokrat wäre es Kretschmers verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, das auch in Sachsen zu organisieren, als er sein Amt übernahm. Denn dort hat man schon immer beide Augen zugedrückt. In Sachsen stinkt der Fisch vom Kopf her.
Und im Bund? Horst Seehofer hat im Frühsommer eine Regierungskrise riskiert, um das abflauende Flüchtlingsthema in den Vordergrund zu schieben. Aus bayerischen Wahlkampfgründen. Er hat so mit dafür gesorgt, dass das Erregungsniveau der rechten Szene hoch blieb. Das ist die Mitschuld des Innenministers. Und jetzt, nach zwei Tagen peinlichen Schweigens, gibt er nur eine dürre Twitter-Meldung von sich, deren schlimmster Satz lautet: „Die Betroffenheit der Bevölkerung (über den Mord) ist verständlich“. Ausländerklatschen, Hitlergrüße, Blutspritz-Sprüche sind keine Betroffenheit. Und sie sind auch nicht verständlich. Auch in Berlin stinkt es.