Eröffnung des „Asphalt-Festivals“ Verschwörung mit festkochenden Kartoffeln
Düsseldorf · Das Asphalt-Festival begann die neue Sommersaison mit dem Theaterabend „Schaf sehen“. Zur Eröffnung sprach die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz.
Mit gleich drei Veranstaltungen an einem Abend und an einem Ort eröffnete die zwölfte Ausgabe des Sommerfestivals Asphalt. Die ehemaligen Geschäftsräume von Conrad Electronic heißen jetzt nach ihrer Adresse 34 Ost und bieten auf zwei Etagen Raum für kulturelle Ereignisse aller Art. Gleich zu Beginn zeigte die neue Spielstätte ihr Potenzial. „Schaf sehen“, im Untertitel „eine theatrale Verschwörungserzählung“, schickte das Publikum auf eine Wanderung durch die enormen Kellerräume, bevor man ebenerdig ein Finale furioso erlebte.
In einer Selbsthilfegruppe taucht, stellvertretend für alle Zuschauer, die junge Frau Johanna auf und stellt bohrende Fragen. Sie selbst will das Klima mit einer radikal umweltschonenden Lebensweise retten. Längst hat sie in ihrem Haushalt alles entfernt, was auch nur andeutungsweise einer schädlichen Emission verdächtig ist: „Das Geschirr spüle ich mit dem lauwarmen Wasser aus meiner Wärmeflasche.“ Dann aber driftet ihr Bruder irgendwie ab, und bei der Suche nach den Gründen trifft Johanna (gespielt von der Schauspielerin Anna Magdalena Beetz) auf eine exotisch anmutende Welt alternativer Lebensideen.
„Sie werden weniger ahnungslos nach Hause gehen“, lautet das Versprechen der Macher dieses beinahe zweistündigen Parcours. Nach einer wortreichen Einführung und dem nicht weniger geschwätzigen Besuch einer Andachtshalle darf das Publikum im dritten Raum seinen Platz einnehmen. Im Blickfeld ist jetzt eine Art Kommune, eine Endlos-Einübung in Sachen „Zurück zur Natur“. Die Menschen dort zeigen Bodenhaftung, ganz wörtlich genommen: Man ackert sich ab auf der erdigen Fläche, bevor deren Produkt als festkochende Kartoffel Linda die ansonsten karge Mahlzeit bereichert.
Überhaupt nicht karg, vielmehr überaus mitteilungsfreudig ist das für das Spiel verantwortliche Theaterkollektiv Pièrre Vers in Sachen Verschwörungstheorien. Offensichtlich dient die vorgeführte Landwirtschaft als mentale Erdung: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Doch letztlich geht es hier nur um ein einziges Feindbild. Es sind die „Reichsbürger“ und deren übles Nest im schönen Thüringen.
Dort verweigert man sich, so heißt es, der deutschen Geschichte in ihrem Ablauf seit dem Jahr 1871. Was im Berliner Regierungsviertel beschlossen wird, ist von keinerlei realem Belang. Schließlich lebt dieses Land seit dem Krieg ohne Friedensvertrag, also unter der Knute der vier Siegermächte.
Scheinbar unzusammenhängende Ereignisse werden flott passend gemacht: Corona ist eine feindliche Intrige, Impfung dagegen ein Akt purer Feigheit. Besondere Vorsicht ist geboten bei dem Handynetz 5G. Über als Tauben verkleidete Drohnen verseuchen die Staatsfeinde das Land.
So weit, so putzig. Im Programmheft des Theaterkollektivs aber wird die radikal linke Stoßrichtung dieser Produktion deutlich. Auch den gegenwärtig wachsenden Antisemitismus in Deutschland will man ausschließlich im konservativen und rechten Spektrum verorten.
Ganz anders war hierzu die Sichtweise von Eva Illouz. Die renommierte französisch-israelische Soziologin hielt zur Eröffnung des Festivals eine Rede mit dem Thema „Der 7. Oktober und die Grenzen der Kritik“. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat Illouz mehrere Debattenbeiträge verfasst, in denen sie sich kritisch mit der Rolle der Linken zu diesem Verbrechen auseinandersetzte. Dem Düsseldorfer Publikum wurde sie mit einem Zitat aus ihrem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ vorgestellt: „Die Antwort der Linken auf die überwältigenden Ereignisse (in Israel) war entwaffnend schlicht und lief nur auf eines hinaus: Für diese Tragödie war Israel verantwortlich.“
Bevor die Soziologin ihre auf Englisch gehaltene Rede im Duktus einer akademischen Vorlesung begann, erläuterte sie noch einmal, warum sie besonders von der Reaktion der Kunstwelt auf den 7. Oktober schockiert ist. Sie bezog sich hierbei auf einen offenen Brief zahlreicher Künstler in der amerikanischen Zeitschrift „Artforum“. Dort wurde die „Befreiung Palästinas“ gefordert, ohne dabei auf die Verbrechen der Hamas einzugehen. Illouz: „Die Hamas brüstete sich im Internet mit ihren Gräueltaten und stellte diese zur Schau. Das hatten sich nicht einmal die Nazis in Deutschland getraut.“ Hingegen sei Israel verurteilt worden, noch bevor es mit seinen militärischen Aktionen begann.
Die eigentliche Rede war eine höchst emotionale Abrechnung mit einer akademischen Welt, bei der ein „neuer Moralismus“ die seit der Aufklärung gültige, an Sachlichkeit orientierte Denkweise ersetzt.