Jahreswechsel 1944/45 Bombenhagel in der Neujahrsnacht

Haan · Rund 220 Bomben prasselten zum Jahreswechsel 1944/45 auf Gruiten. Mindestens elf Personen kamen dreieinhalb Monate vor Ende des Zweiten Weltkrieges in den eigentlich dem Verschiebebahnhof Vohwinkel zugedachten Angriffen ums Leben.

Haupthaus und Remise zur Linden 1945 nach dem Bombeneinschlag in der Neujahrsnacht.

Foto: Gruitener Geschichte

„… uns alle beseelte die eine Hoffnung, daß 1945 diesen totalen Krieg beenden möge. Dieser totale Krieg aber begann für uns erst in der Nacht, in welcher eine geschundene Menschheit die Schwelle zwischen 1944 und 1945 überschritt, in der Silvesternacht.“ Dieser Satz stammt aus den Erinnerungen von Dr. Gertrud Wenzel (geborene Burchard), die damals an der unteren Vohwinkeler Straße zwischen den Gemarkungen Birschels und Zur Linden lebte. Die Unternehmerin hielt ihre Lebenserinnerungen in einem Buch fest.

Seit dem frühen Silvestermorgen 1944 waren feindliche Geschwader fast ununterbrochen nach Osten und Nordosten eingeflogen und über Gruiten hinweggebraust. Am Abend ging Gertrud noch einmal vor die Tür, sah in den klaren Sternenhimmel. Es war still, sehr kalt. Kein Scheinwerfer tastete den Himmel ab. „Die Welt schien das neue Jahr in Frieden zu erwarten.“

Plötzlich flogen die Alliierten ein. Getöse, hunderte Scheinwerferstrahlen bewegten sich am Himmel. „Plötzlich hing eine Reihe ,Christbäume’ wie um unser Haus herum am Himmel! … Die erste Bombe fiel sehr nahe! Ich raste ins Haus zurück und rief den Hasserts (Mitbewohner) zu, sofort in den Luftschutzkeller zu rennen.“ Kinder empfanden die Lage wohl als nicht so gefährlich: „Als wir in den Keller kamen, wo eine kleine Kerze kümmerlich brannte, saßen die Kinder vergnügt in ihren Betten und fanden es einen Riesenspaß, daß wir sie alle besuchten.“ Derweil kauerten sich Frauen betend in eine Ecke. „Das Haus über uns be­gann zu schwanken. Oft schien es, als bewege sich auch der Zementboden unter uns.“ Die Menschen warfen alle Möbel aus dem Keller und legten sich auf den Boden. „Man konnte weder stehen noch sitzen.“

„Heulend kamen die schweren Bomben herunter. ,Mund auf — Finger in die Ohren’, brüllte ich durch den Lärm. Ein Ein­schlag. Sehr nahe. Aber — nicht AUF das Haus“, schildert Gertrud Wenzel die Ereignisse. Die Bomben fielen ohne Unterlass. „Fünfzig Minuten lagen wir auf dem Boden. (…) Dann war es still. (…) Beängstigend still.“

Mit einem Achselzucken quittierten die Menschen, dass auch die letzten kleinen Fensterscheiben zersplittert am Boden lagen, dass einige Türen nur noch lose in den Angeln hingen.

Als die Menschen ins Freie traten, sahen sie gleich das Feuer: Das Gut Zur Linden brannte. Der Wunsch zu helfen ließ sich aber so rasch nicht umsetzen. „Die Straße war von Bombentrichtern derart zer­stört, daß wir sie nicht benutzen konnten. Wir gingen, wir liefen querfeld­ein. Nur ganz oberflächlich nahmen wir andere Geschehnisse in uns auf: daß die Scheune vom Bauern Nix nicht mehr stand, daß ein Teil des nachbarlichen Waldes brannte… Da — noch eine Explosion, ein Zeitzünder! Wo mochten wohl noch andere liegen?“ Die Flammen im Dachstuhl beleuchteten den Innenhof des Gutes Zur Linden. Wo der Zuchtstall gestanden hatte, gab es nur noch einen Haufen Backsteine und Dachziegel – der gesamte Tierbestand war unter dem Schutt begraben.

Die heftigen Angriffe hatten eigentlich dem Güter-Verschiebebahnhof in Wuppertal-Vohwinkel gegolten. Aber die „Christbäume“ genannten Leuchtmarkierungen für die Bomber waren durch den Ostwind in Richtung Gruiten und Oberhaan getrieben worden. Daher ließen die Bomber-Piloten ihre explosive Fracht vor dem eigentlichen Ziel aus den Luken prasseln.

Beim Stammtisch „Gruitener Geschichte(n)“ erinnerte sich ein Senior an jene Nacht in seiner Kindheit. Die Familie habe im Luftschutzkeller Schutz vor den Angriffen gesucht. Als alle wieder ins Freie kamen, sahen sie die schrecklichen Folgen der Explosionen. In die Erinnerung der Kinder brannten sich aber andere Eindrücke: „Alle Tiere waren tot – nur ein Schaf hat überlebt“, schildert der alte Mann. Das Tier habe unter der Holztür gelegen, die von Druckwellen aus dem Plumpsklo im Hof gerissen worden war. Wie der Heimathistoriker Lothar Weller auf der Internetseite „gruitenergeschichte.wordpress.com“ ausführt, ist der Gruitener Bahnhof und sein Umfeld (besonders die untere Bahnstraße, Bergstraße, Kastanienweg) in dieser Nacht wahrscheinlich nur knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt.

(-dts peco)