Interkulturelle Woche Annäherung an den Irrsinn des Dschihad
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor sieht emotionale und soziale Defizite als Ursache für die Faszination der Jugendlichen.
Burscheid. Sie ist in Deutschland geboren, aber Syrien war für Lamya Kaddor immer der Dreiklang aus „Familie, Fernweh, Fremdheit“. Fast jährlich hat sie das Heimatland ihrer Eltern bereist, seit fünf Jahren ist das wegen des Bürgerkriegs nicht mehr möglich. Allein der Vater ist Jahr für Jahr weiter nach Nordsyrien gereist, um seinen dortigen Olivenhain zu kontrollieren. In diesem Jahr war er auf dem Feld, als die Amerikaner eine Zentrale islamistischer Rebellen in der Nähe bombardierten. Seither ist eines seiner Beine amputiert, das andere zerschmettert.
Nein, wenn die renommierte Islamwissenschaftlerin und islamische Religionspädagogin sich fragt, was deutsche Jugendliche in den Dschihad nach Syrien treibt, dann tut sie das nicht nur aus einer akademischen Sicht. Sie fragt es sich auch als Dinslakener Lehrerin, die selbst geschockt war zu erfahren, dass fünf ihrer Schüler nach Syrien aufgebrochen waren. Und sie fragt es sich wohl auch als jenes syrische Mädchen, als das sie in ihrer Familie trotz ihres deutschen Geburtsortes immer galt, bis sie auf der Identitätssuche in ihrer Pubertät für sich feststellte: „Ich bin einfach anders.“
Mit Lamya Kaddors zweitem Besuch in Burscheid nach 2012 haben der Verein „Kulturen in Burscheid“ (KiB) und die Buchhandlung Ute Hentschel gleich zu Beginn der Veranstaltungsreihe zur Interkulturellen Woche für einen ersten Höhepunkt gesorgt: weil damit ein Thema aufgegriffen wurde, „das an die Grenzen meiner Vorstellungen reicht“, wie Ute Hentschel in ihrer Begrüßung stellvertretend für viele einräumte.
Kaddor macht bei den betroffenen Jugendlichen emotionale und soziale Defizite aus, die von salafistischen Menschenfängern gezielt ausgenutzt würden. In ihrer der freimütigen Diskussion vorgeschalteten Lesung aus ihrem neusten Buch skizziert die 37-Jährige fehlende Akzeptanz und Sicherheit im Elternhaus, oft auch eine fehlende Vaterfigur, als Ursachen dafür, dass Jugendliche ihrer Ohnmacht und der Opferrolle entkommen wollen, „indem sie gegenüber anderen als Täter auftreten“. Kaddor ist überzeugt: „Salafismus ist viel mehr eine Jugendprotestbewegung als eine religiöse Erweckungsbewegung.“
Dass dort plötzlich „jeder eine Art Prophet im Namen Gottes“ sei, bedeute einen Riesensprung für das eigene Selbstvertrauen. Muslimsein werde im Salafismus nicht nur akzeptiert, sondern sei Voraussetzung, um dazugehören zu dürfen. Ein selbstständiger Zugang zum Koran sei damit aber schier unmöglich. „Dschihadisten berufen sich auf den Islam, aber ihr Islamverständnis ist stark von Unwissenheit geprägt.“
Als Religionspädagogin setzt Kaddor auf Bildung als ein Gegenmittel gegen diese schwarze Pädagogik, die Gott nur strafend und prüfend versteht und die islamische Betonung seiner Barmherzigkeit völlig ausblendet. Denn sie weiß: „Das eine Extrem, der Salafismus, bedingt das andere Extrem, den Islamhass.“