Das wandelnde Goetze-Gewissen

Jubiläum: In 50 Jahren hat sich Meinhard Wolf vom Lehrling zum Werkleiter hochgedient. FM will sich seine Erfahrung erhalten.

Burscheid. Man würde ihn wohl einen Selfmademan nennen, einen, der sich von wirklich ganz unten hochgearbeitet hat, ohne Vitamin B und gegen viele Widerstände. Aber mit dem Englischen hat es Meinhard Wolf nicht so, obwohl er doch in Diensten eines US-Konzerns steht. Nein, auch heute, 50 Jahre nach seinem Start als 14-jähriger Goetze-Lehrling, ist dem Werkleiter eine Portion Skepsis gegen Vorstandsetagen und das aufgeblähte Vokabular der globalen Wirtschaftswelt erhalten geblieben.

Ein halbes Jahrhundert in Diensten des Kolbenringherstellers - Wolf kann sich nur an einen vergleichbaren Jubilar erinnern, einen ehemaligen Meister der Schleiferei. Und nach Wolf wird wohl auch keiner mehr kommen, dessen Leben so lange und so intensiv geprägt wurde durch diesen einen Betrieb, im Guten wie im Schlechten. Denn der Traditionsfirma den Rücken zu kehren, dafür hätte es viele Gründe gegeben.

Den ersten gleich im September 1960, knapp sechs Monate, nachdem der 14-jährige Steppke seine Lehre als Maschinenschlosser begonnen hatte. Fälschlicherweise des Bekrakelns einer Toilettentür verdächtigt, verpasst ihm der damalige Lehrgeselle 20 Ohrfeigen, auch auf das Ohr, in dem er sechs Jahre zuvor schon eine lebensgefährliche Entzündung gehabt hatte. Bis heute ist Meinhard Wolf mit dem Ohr in Behandlung und hat nur noch ein Hörvermögen von 30 Prozent.

Und dann der Neid und die Skepsis, als er sich weiterbilden will. Über den zweiten Bildungsweg holt Wolf die mittlere Reife nach, dann die Fachhochschulreife und schließt am Ende noch parallel zum Berufsleben das Fernstudium zum Maschinenbau-Ingenieur. "Das war ein Kampf mit allen Vorgesetzten bis hin zum Vorstand, ob ich dafür Bildungsurlaub nehmen durfte." Einer von vielen Gründen, warum Aus- und Fortbildung bei dem Werkleiter heute einen so hohen Stellenwert genießen.

Warum er nicht gegangen ist? Vielleicht weil er als jüngstes von fünf Kindern aus denkbar armen Verhältnissen kam, mit einem Vater, der im Krieg gestorben war, und einer Mutter, die ihre Kinder nur mit Mühe und Not durchbrachte. Wolf selbst nennt auch seine Verbundenheit mit Burscheid. "Und ich habe immer meine Aufgabe darin gesehen, für die Schwachen da zu sein, weil ich selbst weiß, wo ich herkomme."

Irgendwann haben sie im Unternehmen dann doch begriffen, was sie an diesem beharrlichen, so ehrgeizigen wie kantigen Mitarbeiter haben. 1978 übernimmt er die Leitung der Kontrolle von Werk1 und Werk 4. Dort werden die Wurzeln gelegt für sein heutiges Credo: "Tue vorher was" - Qualitätskontrollen möglichst früh im Produktionsprozess zu etablieren, um so den Ausschuss zu senken.

Später baut Wolf den Ölringbetrieb in Werk 2 auf, übernimmt dann zwischenzeitlich noch Werk 1 und die Gießerei und ist damit einige Jahre Gesamtleiter der kompletten Gussringfertigung, ehe wieder kleinere Einheiten gebildet werden.

Werk 1, für das in den 90er Jahren noch ein Besuchsverbot erlassen wurde, "weil es ein Saustall war" und Gäste durch Öllachen waten mussten, ist unter seiner Leitung inzwischen Vorzeigewerk des gesamten Konzerns geworden. Wolfs Vorliebe für knappe Lehrsätze hat an vielen Stellen Niederschlag gefunden. Und bei täglich drei Rundgängen durch die Fabrik zelebriert er seine etwas kauzige Philosophie von Zuckerbrot und Peitsche, eine nur aus seiner Biografie zu verstehende Mischung aus Menschlichkeit und harter Anforderung. "Jammern mag ich nicht."

Stolz ist Wolf auf das, was er erreicht hat. Am 6. August ist sein letzter Arbeitstag, im Juni soll Oliver Thomas, Werkleiter von Werk 2, sich zusätzlich schon als sein Nachfolger einarbeiten.

Aber vom Konzern liegt bereits eine Anfrage vor, ob Wolf sein Wissen nicht weiter als Berater zur Verfügung stellen wolle. Mitte April soll ein Vertrag vorliegen, dann will er sich entscheiden. Vielleicht könnte er so auch eine Sorge bannen: dass nach seinem Ausscheiden "das Soziale etwas auf der Strecke bleibt".