Inklusion: Eine gute Idee reibt sich an der Wirklichkeit
Die personelle Ausstattung erschwert eine optimale Förderung im Schulalltag.
Burscheid. Als die Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) in der vergangenen Woche die repräsentativen Umfrageergebnisse unter Lehrern zum Thema Inklusion bekanntgab, griff der Landesvorsitzende Udo Beckmann zu einem plastischen Bild: „Es ist fast so, als würde ein Hausarzt plötzlich am Operationstisch stehen.“
So dramatische Worte würde Claudia Zimmermann nicht wählen. Aber die Rektorin der Montanusschule bestätigt den Tenor der Umfrage: „Es hakt an vielen Stellen.“ Das hat nichts mit der Begeisterung für die Inklusionsidee an sich zu tun: „Wir haben mit dem Thema seit Jahren Erfahrung und leben Inklusion, nicht nur im Bezug auf Behinderung, sondern auch auf Migration.“
Aber die Rahmenbedingungen seit Einführung des Rechtsanspruchs behinderter Kinder auf Unterricht in Regelschulen vor zwei Jahren kämen nur schleppend ans Laufen. „Wir sind noch weit davon entfernt, wie es sein könnte. Das Land muss nachbessern.“ Dabei geht es vor allem um zusätzliche sonderpädagogische Stellen, aber auch um Schulhelfer, wie Integrationshelfer in NRW inzwischen heißen. „Um sie müssen die Eltern immer wieder kämpfen“, sagt Zimmermann.
Über zwei Sonderpädagogen, einige Schulhelfer und eine Sozialpädagogin verfügt die Montanusschule, die ebenso wie die EMA-Grundschule in Hilgen als Schule des gemeinsamen Lernens gilt. Aber viele Kollegen mussten in Sachen Inklusion ins kalte Wasser springen. „Erst jetzt langsam wird die Ausbildung auch vor dem Referendariat umgestellt“, sagt Zimmermann.
Dazu kommt, dass sonderpädagogischer Förderbedarf erst ab Klasse drei überhaupt festgestellt werden darf, um die Kinder nicht zu früh in Schubladen zu stecken. Aus Sicht von Zimmermann klafft eine große Lücke zwischen den tatsächlich förderbedürftigen Kindern und der wesentlich geringeren Zahl derer, die als solche eingestuft sind.
Eine Einschätzung, die von Angelika Büscher, Rektorin der evangelischen Real- und Gesamtschule, geteilt wird. Und der Korridor für die Einstufung sei schmal: Sie darf frühestens in der dritten und muss spätestens in der sechsten Klasse erfolgen. Da können Schüler durch Umzüge oder Lehrerwechsel schnell durch das Raster fallen. „Und wir als Ersatzschule müssen für unsere Ressourcen spitz rechnen.“ Will heißen, die Zahl der bewilligten Sonderpädagogenstellen berechnet sich nach der Zahl der als förderbedürftig eingestuften Schüler.
Die beiden evangelischen Schulen, die derzeit zusammen 20 Kinder mit festgestelltem Förderbedarf haben, behelfen sich mit ihrem Recht, selbst Einstellungen vorzunehmen. So kann die Wahl auf Sonderpädagogen fallen, die dann auch normalen Unterricht geben.
Zusätzlich fließt Geld des kirchlichen Trägers für Hilfsmittel zur Inklusion. Und mittlerweile konnte auch eine Bundesfreiwilligenstelle eingerichtet werden. Zuletzt gab es sogar einen Preis für das Konzept „Get ready“, das förderbedürftige Kinder täglich in der ersten Stunde aus dem Unterricht holt und sie stattdessen auf die Anforderungen des Tages vorbereitet.
Aber das alles schafft keine Rahmenbedingungen, wie sie die Förderschulen haben: „Da endet die Klassengröße bei 15. Wir würden uns freuen, wenn wir da anfangen könnten“, sagt Büscher. Bei Klassengrößen mit 27 Schülern kommen auch manche Eltern wieder ins Grübeln.
Einerseits weiß Büscher von einem regelrechten Ansturm von Anträgen auf Feststellung des Förderbedarfs bei der Bezirksregierung zu berichten, seit Eltern durch das Recht auf Regelbeschulung nicht mehr fürchten müssen, ihr Kind dem vermeintlichen Makel eines Förderschulbesuchs auszusetzen. Andererseits scheint bei einem Teil der betroffenen Eltern schon ein Umdenken einzusetzen: zurück zur Förderschule, weil der Alltag einer Regelschule im Einzelfall eben nicht immer die erhoffte und auch benötigte Förderung bieten kann.