So reagiert eine Erstwählerin auf Wahlplakate in der Stadt
Anja Tauber will sich nicht von optischen Eindrücken leiten lassen. Auch hinterfragt sie die politischen Botschaften. Von der Masse der Plakate fühlt sie sich erdrückt: Weniger wäre mehr, sagt sie.
Burscheid. An Wahlplakaten bin ich früher vorbeigegangen, ohne mir wirklich Gedanken dazu zu machen. Aber jetzt, wo ich zum ersten Mal wählen gehen werde, werden ganz andere Perspektiven deutlich. Wahlplakate sind die erste Möglichkeit von Parteien, die Menschen direkt zu erreichen. Berichten im Radio oder Fernsehen zum Beispiel kann man aus dem Weg gehen. Aber sobald man einen Fuß vor die Haustür setzt, wird man gezwungen, etwas wahrzunehmen. Und genau das mache ich jetzt und mache mir meine Gedanken, welche Plakate bei mir ankommen.
Einfache Profilbilder eines Vertreters einer Partei und der Name dabei lassen mich eher unbeeindruckt. Ich will mehr wissen von den Politikern, besser noch von deren Parteien. Ich will mich nicht leiten lassen von dem ersten optischen Eindruck eines Menschen — zumindest nicht bei einer Wahl. Denn jeder könnte sich vor eine weiße Wand stellen und lächeln.
Slogans oder Statements zu verschiedenen Themen oder Konflikten sprechen mich persönlich mehr an. Ich fange an, darüber nachzudenken. Bin ich derselben Meinung? Ist mir das wichtig? Man bekommt einen ersten Eindruck einer Partei. Es weckt Interesse, sich mehr zu informieren, ob vielleicht auch deren Ansichten zu anderen Themen sich mit den eigenen decken können. Und ich denke, dadurch entsteht die eigentliche Identifizierung mit den Gedanken einer Partei.
Ich finde mich angesprochen, wenn ich lese: „Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts.“ Das Signalwort Umwelt wirkt auf mich, ich lebe selbst umweltbewusst. Aber kann ich wirklich glauben, dass das mir wichtige Thema von den Vertretern dieser Partei ernst genommen wird? Bei vielen Menschen ist generell das Vertrauen in die Politik und Vertreter an der Macht verloren gegangen. Jetzt stelle ich mir die Frage, ob das denn überhaupt ernst gemeint ist oder nur Wähler anlocken soll.
Aber trotzdem verfehlen die Plakate dadurch ihren Zweck der Werbung nicht. Ich denke also etwas kritischer darüber nach, und lese: „Schulranzen verändern die Welt. Nicht Aktenkoffer.“ Ich verstehe die Botschaft, der Nachwuchs soll besser gefördert werden. Die Partei setzt auf Bildung. Was ich daran nicht verstehe: Sind nicht die Politiker jene, die mit Herrschaften mit Aktenkoffern Kontakt haben? Und diesen auch im Austausch mit der Wirtschaft haben müssen? Ich bin irritiert. Und dann steht da noch: „Denken wir neu!“ Müssen wir wirklich neu anfangen? Das hört sich so an, als wäre alles, was wir bislang gemacht haben, falsch. Dabei denke ich, dass wir nicht alles wegwerfen müssen.
Aber auch vieles wird verallgemeinert: „Zeit für mehr Gerechtigkeit.“ Wer würde denn für Ungerechtigkeit plädieren? Und was ist wirklich ungerecht? Das Spiel mit angeblicher gesellschaftlicher Meinung ist mir zu offensichtlich.
Plakate sind das, was vor allem mich als Erstwähler als erstes erreichen und meinen ersten Eindruck prägen. Doch je intensiver ich mich mit einzelnen Plakaten beschäftige, fällt mir die Flut der Botschaften und Köpfe auf. Wenn ich durch die Fußgängerzone gehe und an jedem zweiten Laternenmast ein Wahlplakat hängt, wird aus dem ursprünglichen Reiz, der Neugier, eine Ablehnung. Und das kann dazu führen, dass man sie doch nicht mehr wirklich wahrnimmt, auch wenn sie einem überall begegnen.