Torsten Sträter über mentale Gesundheit „Ich bin zu einer Art Depression-Galionsfigur geworden“

Interview | Düsseldorf · Der Comedian ist seit Langem dafür bekannt, offen über seine Depressionen zu reden. Er erklärt, was sich in den letzten Jahren im öffentlichen Diskurs schon getan hat und was sich noch ändern muss. Nächste Woche spricht er zu dem Thema in Düsseldorf.

Torsten Sträter ist seit Langem dafür bekannt, offen über seine Depression zu sprechen.

Foto: Marvin Ruppert

. Tabus beim Thema Depressionen? Gibt es bei ihm nicht. Der Comedian, Kabarettist und Autor Torsten Sträter setzt sich seit vielen Jahren öffentlich für die Enttabuisierung psychischer Krankheiten ein – etwa als Schirmherr der Deutschen Depressionsliga und indem er in Interviews und bei seinen Auftritten auf der Bühne über seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen offen spricht. Nächste Woche ist er zu Gast bei einer Veranstaltung der SOS-Kinderdörfer in Düsseldorf über mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen.

Herr Sträter, in den 90er-Jahren haben Sie sich mit Ihrer Depression allein gefühlt, weil niemand offen darüber geredet hat. Ist das heute deutlich anders, oder hat sich immer noch nicht genug getan?

Torsten Sträter: Beides. Ich habe das Gefühl, es ist nicht unbedingt viel besser geworden, aber das Thema rückt immerhin mehr in den Fokus. Ich bin ja als Dreiviertel-Prominenter zu einer Art Depression-Galionsfigur geworden. Eigentlich bin ich aber ein schlechtes Beispiel. Ich bin sehr begünstigt, die meisten haben eben nicht diese Bedingungen. Es gibt auch Leute, die müssen etwa Angst haben, dass es in der Personalakte landet. Deswegen verstehe ich jeden, der nicht offen darüber redet – und freue mich trotzdem, dass viele es mittlerweile tun.

Gibt es Mythen über Depressionen, die sich immer noch hartnäckig halten?

Sträter: Es dürfte mittlerweile eigentlich allgemein bekannt sein, dass man nicht einfach eine faule Sau ist. Trotzdem wird man immer wieder auf eine Tante Erna treffen, die der Auffassung ist, man muss sich einfach mal zusammenreißen und das Fenster auf Kipp machen. Dann gibt es auch noch findige Motivationsgurus, die behaupten, es gebe gar keine Depressionen, sondern man esse einfach zu wenig Eiweiß und habe zu wenig Bewegung.

Sie haben auch Erfahrungen mit funktionaler Depression, also damit – zumindest nach außen hin – im Alltag noch zu funktionieren. Wie ist es, sich bei einer unsichtbaren Krankheit immer wieder erklären zu müssen?

Sträter: Zum Glück ist es eine unsichtbare Krankheit, stellen Sie sich mal vor, man könnte das einem auch noch sofort ansehen! Aber das macht es natürlich unglaublich schwer, es anderen zu erklären, weil einem eben kein Knochen aus dem Arm ragt, auf den man einfach zeigen könnte. Sich ständig zu erklären, ist aber auch ermüdend. Man möchte eigentlich nur still zu Hause auf dem Stuhl sitzen und es bis in die Küche schaffen, um es gar nicht mal so überspitzt darzustellen.

Viele Betroffene warten zudem ewig auf einen Therapieplatz. Wie können wir da als Gesellschaft in der Zwischenzeit einspringen?

Sträter: Man kann den Leuten etwas Arbeit abnehmen – wie auch bei einem Beinbruch. Beides lähmt einen im Vorankommen im Leben. Es wäre schön, wenn man uns tägliche Verrichtungen abnimmt, die trivialsten Dinge – Telefonate, Einkäufe, Behördengänge.

Am 6. November geht es in Düsseldorf um die mentale Gesundheit von traumatisierten Kindern. Sie engagieren sich für die SOS-Kinderdörfer weltweit seit 2018, vor ein paar Monaten waren Sie in Nordmazedonien. Wie war es vor Ort?

Sträter: Das treibt mich immer an meine emotionale Grenze. Eigentlich habe ich Schwierigkeiten, darüber zu reden. Kinder, die keine Eltern mehr haben, kriegen da die Chance, bei einer anderen Familie aufzuwachsen, und bekommen ein geregeltes Leben. Das ist wirklich schön zu sehen.

Haben Sie ein Beispiel?

Sträter: Da gab es Kinder, die sind unter so schlimmen Bedingungen aufgewachsen, dass sie erst kaum sprechen konnten. Ich habe selber gesehen, wie sie von Tag zu Tag aufgeblüht sind und ihnen wirklich geholfen wurde.

Eine „Chez Krömer“-Folge von 2021 hat wegen des offenen Gesprächs zwischen Ihnen und Kurt Krömer über Depressionen viel Aufmerksamkeit und sogar einen Preis bekommen. Wieso ist genau dieses Gespräch so durch die Decke gegangen?

Sträter: Bei „Chez Krömer“ weiß man nie, was einen erwartet, außer dass es einfach ein Gespräch wird. Worum es ging, wusste ich vorher nicht. Deswegen war ich auch selbst überrascht und beeindruckt, wie Kurt Krömer dann einfach total offen über seine eigenen Depressionen gesprochen hat. Ich bin ja selber auch kein Therapeut oder Experte, ich weiß im Prinzip selber nichts, außer eben, wie es sich anfühlt. Wir haben uns einfach ausgetauscht.

Wie hat die Depression Ihre Arbeit als Comedian beeinflusst?

Sträter: Wenn ich über Depressionen rede, versuch ich’s erst mal aus Reflex immer in lustig, denn ich habe ja auch den Auftrag zu unterhalten. Dann war ich lange der Komiker mit den Depressionen, der trotzdem auftritt und lustig sein kann, weil ich eben funktional bin. Wenn ich noch wie früher in einer Spedition gearbeitet hätte, hätte ich das aber sicher nicht geschafft.

War die Zeit auf der Bühne manchmal auch eine Flucht vor der Realität?

Sträter: Ja. Ich habe meine Shows oft lange überzogen, weil ich nicht zurückwollte in die Realität. Die lauerte ja schon auf dem Parkplatz auf mich, wenn ich meine Sachen zusammengepackt hatte. Deshalb wollte ich das Ende in die Länge ziehen. Will ich eigentlich immer noch, aber mittlerweile reiße ich mich etwas mehr zusammen.

Sie haben einmal gesagt, im Alter schleife sich die Depression bei Ihnen etwas ab. Was meinen Sie damit?

Sträter: Meine Depressionen fallen milder aus, und die Intervalle zwischen den Schüben werden größer. Da liegen mittlerweile Jahre dazwischen. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass ich, wenn ich über 70 bin, irgendwann vielleicht sogar mal zehn Jahre lang Ruhe habe.