Nach Stopp der Martinstüten-Auslieferung Neues System soll Weckmann-Aktion in Gruiten retten
Haan · Angesichts des Stopps der Auslieferung von etwa 370 Martinstüten für Hochbetagte aus Datenschutzgründen hat sich der Gruitener Geschichtsstammtisch zu Wort gemeldet. Er plädiert ebenso wie der Gruitener St.-Martinsverein für ein System, bei dem sich die Senioren künftig anmelden müssen.
Im Streit um die aus Datenschutzgründen gestoppte Auslieferung von Weckmann-Tüten an Hochbetagte zu Sankt Martin in Gruiten hat sich der Bergische Geschichtsverein für eine Umstellung des Adressen-Erfassungssystems stark gemacht. So schrieb der Gruitener Heimatforscher Lothar Weller – Vorstandsmitglied des Vereins – jetzt in einer Reaktion auf den Bericht unserer Zeitung über das vorläufige Aus für den Weckmann-Service: „Gesucht wird ein Weg, die alte Tradition, die in diesem Jahr ausfällt, in Zukunft doch noch wiederbeleben zu können – ohne Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung.“ Wellers Ansatz: Die Über-80-Jährigen melden sich und erlauben den Besuch durch Ehrenamtliche des Martins-Vereins. Die Meldungen werden von der städtischen Stelle, die bisher die Adressenlisten geliefert hat, mit den dort vorhandenen Altersangaben abgeglichen, um Missbrauch auszuschließen. Das sei natürlich etwas aufwändiger als bisher, „aber vielleicht ein Weg, der eingeschlagen werden kann.“
Der „Verein der Freunde des Martinsfestes Gruiten“ hatte zuvor die Überprüfung der Altersangaben als ein Hauptproblem für eine mögliche Fortsetzung der Auslieferung auf „Bestellungs-Basis“ im nächsten Jahr genannt. Vorsitzende Sandra Dörrier hatte angemerkt, die ehrenamtlichen Helfer könnten ja nicht jeden auffordern, den Personalausweis vorzulegen.
Lothar Weller hat eine weitere Schwierigkeit ausgemacht: Für etliche Ü-80-Jährige, die sich nicht selbst melden können, sei künftig die Mitwirkung von Angehörigen oder Freunden erforderlich, damit der oder die Hochbetagte auch weiterhin seinen „süßen Besuch“ am Samstag nach dem Martinstag erhalte.
Die vom Martinsverein über viele Jahrzehnte hinweg lebendig gehaltene Tradition in Gruiten , den über 80-Jährigen am Samstag nach dem Zug einen frisch gebackenen Weckmann in die Wohnung zu bringen, fällt in diesem Jahr aus und muss für die kommenden Jahre organisatorisch deutlich verändert werden. Die seit dem Jahr 2016 verbindlich geltende Datenschutzgrundverordnung steht dem bisherigen Verfahren im Wege.
Ein schwerer Schlag für die Gruitener Sankt-Martins-Tradition
„Wo kein Kläger, da kein Richter“, geltenicht mehr, denn jetzt gebe es einen „Kläger“, hob Weller in seinem Schreiben noch einmal hervor. Ein Ü-80-Beschenkter hatte das Geschenk im vergangenen Jahr abgelehnt und mit Bezug auf die Datenschutzgrundverordnung gegen das Verfahren, durch das er an seiner Haustür besucht wurde, heftig protestiert (wir berichteten). Die Haaner Stadtverwaltung, die in der Vergangenheit die Adressen der meist um die 370 für den Besuch infrage kommenden Hochbetagten geliefert hatte, teilte dem Verein daraufhin mit, diesen Service aus Datenschutzgründen nicht mehr zur Verfügung stellen zu können.
Ein schwerer Schlag für die Sankt-Martins-Tradition in Gruiten, die dem Geschichtsverein zufolge sogar noch weiter zurückreicht, als bislang angenommen. 1948 gilt allgemein als das Gründungsjahr des Vereins, der den beliebten Martinszug in Gruiten ausrichtet. Es gibt Heimatforscher Weller zufolge aber eine Quelle, die davon berichtet, dass es bereits 1945 einen Martinszug in Gruiten gegeben haben soll: „Im Archiv Breidbach befindet sich das Fragment einer Schulchronik, die ,Fräulein Büchter, die langjährige Lehrerin und Leiterin der evangelischen Schule in Gruiten, geführt hat“, berichtet er. Darin heißt es unter anderem wörtlich: „Um die erste gemeinsam mit unseren Kindern erlebte Adventszeit [nach dem Zweiten Weltkrieg] besonders schön und eindrücklich zu gestalten, beabsichtigten wir, jeden einzelnen evangelischen Bauern unserer Gemeinde um Mehl oder sonstige Zutaten für Brötchen zu bitten.“
Die evangelische Schule hatte diese Aktion als eine Art Ausgleich dafür ins Leben gerufen, dass man den eigenen Schülern die Beteiligung an dem „zu hart konfessionell aufgezogenen Martinszug“ 1945 offensichtlich verboten hatte. Wobei „zu hart konfessionell“ wohl dahingehend zu verstehen ist, dass der Zug allein von katholischer Seite organisiert worden und wohl stark auf Heiligenverehrung ausgerichtet war.
Den evangelischen Schulkindern wurde deshalb das Verbot der Teilnahme am Martinszug durch eine evangelische Adventsfeier, bei der sie zwei große Brötchen bekamen, „versüßt“.