Senioren Menschen, die noch nie im Internet waren
DÜSSELDORF · Verbände fordern von der Politik, flächendeckend Angebote zu machen, damit Seniorinnen und Senioren im Digitalzeitalter nicht ausgegrenzt werden.
Menschen, für die das Internet zum Alltag gehört, wird die Zahl überraschen: Laut Statistischem Bundesamt waren 17 Prozent der Menschen im Alter zwischen 65 und 74 noch nie im Internet. Bezogen auf NRW sind das 325.500 Personen. In der Gruppe der über 70-Jährigen liegt der entsprechende Anteil sogar bei gut 34 Prozent – in NRW knapp eine Million Personen.
Was dies in Zeiten der Digitalisierung für ältere Menschen bedeutet, macht Erwin Knebel anhand eines Beispiels deutlich. Knebel ist Vorsitzender von „Wir Verbraucher in NRW“, dem Förderverein der Verbraucherzentrale. Und er leitet eine Verbraucher-Arbeitsgemeinschaft im Kreis Mettmann. In Hilden, so erzählt er, sei 2020 in der Corona-Pandemie das Freibad nur für diejenigen zugänglich gewesen, die ihr Ticket im Internet kauften. Viele Ältere, die keinen entsprechenden Zugang hatten, konnten den ganzen Sommer nicht ins Freibad.
Dies sei vor Ort der Anstoß gewesen: Mit dem Projekt „Digitalpaten“ wurde Menschen im Kreis Mettmann ein Angebot gemacht. Seniorinnen und Senioren wurden eingeladen. Da sei man schon in den ersten Gesprächen auf Geschichten über Hürden gestoßen, die Menschen ohne Internetzugang kaum überwinden könnten. Da habe eine 86-jährige Frau mit ihrem dementen Ehemann Ausflüge machen wollen. Mit der Rheinbahn. Sie habe um einen ausgedruckten Fahrplan gebeten. Den gebe es nur noch im Internet, war die Antwort. Bei den „Digitalpaten“ wollte die Seniorin nun lernen, wie man das Internet für solche und andere Fälle nutzt.
Aber warum braucht man dafür organisierte Hilfe, mag sich manch einer fragen. Für Jüngere ist das Aneignen digitaler Kompetenz kein Problem. Doch Knebel erzählt, warum es für viele Ältere sehr wohl eines ist, vergleichbar mit dem Erlernen von Chinesisch. Und dass es keinen Grund gibt, abschätzig auf ältere Menschen zu schauen, die hier nicht klar kommen. Knebel: „Viele in dieser Altersgruppe haben in ihrer Kindheit die „Volksschule“ besucht.“ Sie hätten kaum Englisch gehabt, wüssten nichts mit den englischen Bezeichnungen der digitalen Welt (link, googeln, scrollen) anzufangen. Sie benötigten Angebote, die ihnen helfen, die digitale Welt zu verstehen und zu lernen, mit den Geräten umzugehen. Aber dafür gebe es in NRW kaum Hilfsangebote. Da brauche es mehr politisches Engagement.
In seiner Arbeit vor Ort, wo ehrenamtliche Helfer die Räume der Stadtbücherei nutzen, hat Knebel Erfahrungen gemacht, die sich Projekte andernorts zunutze machen könnten. Da geht es um den Umgang mit Smartphone, Tablett oder Computer. Um Online-Shopping oder Onlinebanking. Oder um Messenger-Dienste wie WhatsApp, über die Senioren dann leicht mit den Enkeln in Kontakt bleiben können.
Wichtig sei, so sagt Knebel, das Training an den Geräten in Kleingruppen, maximal zwei Personen. Es müsse kurze Lerneinheiten in kurzen Zeitabständen (etwa alle zwei oder drei Tage eine halbe Stunde) geben, um ein Vergessen des Erlernten zu verhindern. Für diejenigen, die sich davon überfordert fühlen, müsse dann vor Ort eben ein anderes Angebot gemacht werden: Wohnortnahe Servicestellen, die dabei helfen, Angebote, die es nur digital gibt, in Anspruch zu nehmen.
Elke Schilling ist Gründerin der Organisation „Silbernetz“ (Internet: silbernetz.org) die Menschen ab 60 Jahren unter 0800 4 70 80 90 anbietet, am Telefon „einfach mal zu reden“. Da geht es um die Sorgen auch der Hochaltrigen, um ihre Einsamkeit, ihre Isolation. Diese lebten oft mehr oder weniger allein zuhause. Schilling beklagt: „Nicht die Alten sind nicht technik-affin, sondern die Technik ist nicht Alten-affin.“ Sie fordert: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen ausgegrenzt, dass sie diskriminiert werden.“
Linda Göbl forscht zum Thema digitale Teilhabe im Alter. Auch die von ihr mit durchgeführte Studie (www.bagso.de/studie/leben-ohne-internet-gehts-noch/) habe die entsprechende Ausgrenzung älterer Menschen belegt. Zum Beispiel, wenn es um eine Terminvergabe beim Arzt gehe. Oder bei den Diensten des Bürgeramtes. Und wie soll man ohne Internet dem nachkommen, was auch der Staat verpflichtend einfordert, wie etwa eine Grundsteuererklärung? Auch Informationen für Freizeitangebote und entsprechende Ticketbuchungen seien ohne digitale Kenntnisse oft kaum möglich. Es müsse ein Bewusstsein in der Gesellschaft für diese Probleme geschaffen werden, so Göbl.
Und mehr als das. Erwin Knebel sagt: „Wir erwarten, dass es nicht dem Zufall überlassen bleibt, ob Ehrenamtliche irgendwo vor Ort entsprechende Hilfsangebote machen.“ Diese müssten flächendeckend mit Hilfe des Landes geschaffen werden, um sie dann in den Kommunen umzusetzen. Da könne man zum Beispiel wie in Hilden mit Büchereien zusammenarbeiten. Oder auch mit lokalen Wirtschaftsunternehmen, etwa Sparkassen. Aber es brauche eben eine Struktur, um dieses Problem in Angriff zu nehmen. Und Ehrenamtliche müssten entsprechend geschult werden.