Kreative Tierärztin aus Mönchengladbach Neuer Schnabel für Papagei Rio
Düsseldorf. · Tierärztin Victoria Tüllmann modellierte dem Harlekin-Ara eine spezielle Prothese. Seitdem hangelt er sich wieder von Ast zu Ast.
Tierärztin wollte Victoria Tüllmann schon immer werden. Das fing schon in der Grundschule an, lange bevor sie aufs Cecilien-Gymnasium ging. „Wir hatten immer Hunde, heute ist es Kuno, der mich auch immer mal wieder in der Praxis besucht, und ich bin geritten“, erzählt sie. „Mir war immer klar, dass ich Tieren helfen möchte – wissenschaftlich und medizinisch.“ Mit ihrer Mutter – das ist die Bürgerstiftungs-Vorstandsvorsitzende Sabine Tüllmann – ging und geht sie gerne spazieren, besonders in Niederkassel, wo sie aufwuchs. Kuno ist immer dabei. Der Vater ist Hans-Jürgen Tüllmann, Geschäftsführer Comitee Düsseldorfer Carneval. „Das Karnevals-Gen hat er an mich vererbt. Das gehört zu meinen Düsseldorf-Highlights. Das ist Heimatgefühl.“
Nach dem Abitur zog Tüllmann zum Studieren nach Belgien
„Leider war mein NC nicht ganz so perfekt für das Tierarztstudium, also paukte ich nach dem Abi sechs Woche lang Holländisch und fing in Belgien an.“ Ihr Herz für Vögel entdeckte Victoria „Vicky“ Tüllmann dann während ihres Studiums in einer belgischen Praxis. Mittlerweile arbeitet sie in Mönchengladbach als Tierärztin und Vogelmedizinerin. Und hier kam es zu einer besonderen Begegnung: An einem Freitagabend piepte Tüllmanns Handy. Eine befreundete Papageienzüchterin schickte ihr Fotos eines Aras, darunter die Notiz „Etwas zum Nachdenken für Dich am Wochenende“. Die Bilder zeigen Rio, heute gut ein Jahr alt, ohne Schnabelspitze.
„Es kommt vor, dass die Eltern beim Füttern im Nest den Schnabel des Nachwuchses erwischen. Die Vögel können zwar auch ohne Schnabelspitze fressen, aber sie fühlen und klettern eben auch damit“, erklärt Tüllmann. Ohne Schnabelspitze kein artgerechtes Leben also, und das kann bei einem Harlekin-Ara wie Rio ganz schön lang sein: Bis zu 60 Jahre alt können die bis zu einem Kilogramm schweren, in Kolumbien beheimateten Vögel werden, in Freiheit werden sie sogar noch älter.
Papageien sind Tüllmanns Leidenschaft. „Die sind für mich neben Hühnern reine Herzenssache. Ich wollte Rio unbedingt helfen“, sagt die 32-Jährige. Schnell war klar: Für Rio musste eine Prothese her.
Sie suchte zunächst nach einem geeigneten Material für den Schnabelspitzen-Ersatz. „In diesem Fall ist die Kreativität des behandelnden Tierarztes gefragt, weiterführende Fachliteratur gibt es nicht“, so Tüllmann. Nach Gesprächen mit Medizinern und Handwerkern entschloß sie sich für Kunststoff als formbares, aber hartes Prothesenmaterial. Sie ließ die Kunststoffmasse bei einem befreundeten Düsseldorfer Kieferorthopäden anfertigen. Der gab ihr den Tipp, die Masse Schritt für Schritt an Rios Schnabelende zu modellieren. Vor dem einstündigen Eingriff übte Tüllmann an einem Modell. Acht Schichten waren es am Ende, die Rios neuen Schnabel bilden. Mit einem sensiblen Instrument, das zur Zahnbehandlung von Hunden eingesetzt wird, feilte Tüllmann schließlich den Schnabel glatt.
Als Rio aufwachte, wußte er, was er zu tun hat: Klettern. „Er zog sich gleich wie wild an einem Stuhl hoch“, erinnert sich Tüllmann glücklich. Eine Woche später besuchte sie Rio zur Nachuntersuchung. „Er ist total zahm, man kann ihn auch streicheln, aber ein wenig gefremdelt hat er nach der OP schon, er hatte natürlich abgespeichert, dass ich irgendetwas Seltsames mit ihm gemacht hatte.“ Jetzt habe er aber wieder Vertrauen, „und die Prothese sitzt“.
„Was mich täglich begeistert, sind die engagierten und enthusiastischen Menschen, die zu uns in die Praxis kommen“, sagt die 32-Jährige, die auch Hunde, Katzen und Reptilien behandelt. Die Tierarztpraxis mit Schwerpunkt Vogelmedizin Burkard Sudhoff in Hehnerholt behandelt neben Papageien auch noch Hühner, Tauben und Vögel aus der freien Wildbahn. „Letztens war ein Steinadler hier, ein Uhu, eine Schneeeule.“ Faszination hat Tüllmann auch für die Papageien in Düsseldorf, auch wenn sie – wie viele andere auch – deren Geschrei auf der Kö und im Löricker Yachthafen manchmal ziemlich lästig findet. Bei der Stadt Düsseldorf stellte sie deshalb kurz vor Corona ein Konzept vor, wie das Problem mit den vermehrungsfreudigen Papageien und auch den Tauben in den Griff zu bekommen wäre. „Die Belgier arbeiten mit einem Medikament gegen Parasiten, als Nebenwirkung werden die Vögel unfruchtbar. Das kommt dann in den Mais, der an die Vögel verfüttert wird.“
Für ein herzerfrischendes Erlebnis sorgte im Leben der Tierärztin erst kürzlich ein grüner Amazonas-Papagei. „Ich hatte wenig Hoffnung, denn der Kleine hatte eine lebensbedrohliche Luftsackentzündung. Aber wie durch ein Wunder hat er die gut überstanden. Als ich dann morgens in die Klinik kam, begrüßte mich Coco mit einem beschwingenden Hallo. Und von da an hat er nur noch gequatscht. Das war einfach zu schön.“