Bürowelt ohne eigenen Schreibtisch

Die neue Siemens-Zentrale am Flughafen verzichtet auf persönliche Arbeitsplätze. Das Echo ist gemischt.

Düsseldorf. „Das ist der reine Luxus hier“, schwärmt die Dame am Empfang. „Die ersten drei Tage waren nicht einfach, einige Kollegen waren sogar aggressiv — aber das hat sich schnell gelegt. Jetzt sind alle sehr zufrieden.“ Die neue Zentrale von Siemens-NRW in der Airport-City ist sogar ganz besonders anziehend: Von 300 Essen pro Tag im hellen und feinen Mitarbeiter-Restaurant geht ein Drittel an externe Gäste. Auch Porsche-Mitarbeiter oder die findigen Köpfe aus dem VDI-Haus lassen sich an der Klaus-Bungert-Straße Paella, Hähnchen oder Pasta zu Spottpreisen schmecken. Und neugierig fragen sie die Siemens-Mitarbeiter: Wie ist das so — ohne eigenen Schreibtisch?

Der Konzern hat an einigen Standorten — neben Berlin, München und Nürnberg auch in Düsseldorf — einen Pilotversuch gestartet: Unter dem Stichwort „Siemens Office“ wird das Büroleben der Zukunft entwickelt — mit „mobile Working“ ohne festen Schreibtisch, Einführung einer offenen Bürolandschaft und mehr Freiheit in der Arbeitsgestaltung, was auch bei der besseren Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Familie helfen soll. Mit Stechuhren hat all das nichts mehr zu tun: „Die Vertrauenskultur tritt in den Vordergrund“, sagt NRW-Siemens-Chef Herbert K. Meyer.

Die neue Zentrale ist hypermodern, dezent vollgestopft mit der besten IT-Technik. Im Restaurant steht neben der Cafe-Lounge ein Kopierer, der auch faxen, mailen und auf Datenkonten zugreifen kann. Pressechef Georg Lohmann schiebt seinen Firmenausweis in das Gerät, meldet sich an — und könnte nun Dokumente ausdrucken, die er eventuell am Morgen in München an einem anderen Schreibtisch an den Zentralserver versendet hat. „20 bis 30 Kollegen oder Kunden kommen hier täglich mit dem Flugzeug an und nutzen diese Technik gerne. Das Taxi kann man sich ja ohnehin sparen.“ Vorteil Airport-City.

Die Büros sind hell, rote Sofaecken mit hochgezogenen Lehnen schaffen Ruhezonen, Anschlüsse fürs Laptop sind im Tisch integriert. Die eigene Kaffeemaschine braucht hier niemand. Küchen mit einem luxuriösen Kaffee-Computer-Turm stehen allseits bereit, spendieren den guten Dallmayr, Espresso und sogar Wiener Melange oder Chococino. Wer dazu eine Zigarette rauchen will, zieht sich in eine offene Kabine zurück, die ein bisschen aussieht wie ein neues Haltestellenhäuschen, nur dass hier per Luftsog die nikotinlastige Luft weggeschluckt wird.

Der Büroarchitekt ist eindeutig ein Meister Propper seiner Zunft. Abends lautet die Devise „clean desk“, sauberer Schreibtisch. Jeder muss, damit das Putzgeschwader freie Bahn hat, seine Siebensachen zusammenräumen und in eine Art Spind packen, der „Locker“ heißt und folglich abschließbar ist. Aktenschränke sind die Ausnahme.

Als der Arbeitskreis der Immobilienwirtschaft der IHK jüngst das Gebäude besichtigte, war das Staunen groß. „Es sah teilweise so aus, als würde dort noch niemand arbeiten“, sagt die Maklerin und IHK-Vizepräsidentin Renate Kölbel. „Siemens ist in Düsseldorf mit dieser Philosophie sicher am weitesten.“ Die Firma steht aber nicht allein da. Die Victoria-Versicherung hat, wie Kölbel berichtet, Fensterbänke schräg eingebaut, damit sie nicht zu Privatablagen werden.

Der Verlust des Individuellen wird aber als Manko empfunden. 600 Mitarbeiter hat Siemens in der Zentrale, viele davon in Service und Vertrieb, die oft unterwegs sind. Schreibtische gibt’s jedoch nur 430. Das spart Platz und Geld. „Clean desk“ heißt deswegen auch: Keine Inbesitznahme, das Büro darf keine individuelle Note haben. Bildchen oder Poster an der Wand sind passé. „Das ist für viele ein Thema“, sagt eine altgediente Mitarbeiterin beim Rundgang. „Früher habe ich die Adventskärtchen aufgebaut und nach Weihnachten kamen sie weg. Das mache ich nicht, wenn ich abends den Schreibtisch abräumen muss. Das ist vorbei.“

Dieser Zwiespalt bleibt. „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass eine solche Büroorganisation zu Kündigungen führen kann, wenn ein Mitarbeiter eine vergleichbare Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber angeboten bekommt“, berichtet Marcel Abel, in Düsseldorf Chef des Maklers Jones Lang LaSalle. „Ein Büro ist ja auch ein Ort, wo man am Wochenende Familie oder Freunden zeigt, unter welchen Umständen man arbeitet. Das gilt vor allem für leitende Mitarbeiter und spezielle Branchen: Juristen und Berater bieten Individuen ihren eigenen Raum.“