Creditreform: Detlef Frormann im Interview
Detlef Frormann, Geschäftsführer von Creditreform, zur Überschuldung und der gesellschaftlichen Verantwortung.
Herr Frormann, ab wann wird ein Verbraucher von Ihnen als überschuldet eingestuft?
Frormann: Überschuldung liegt dann vor, wenn ein Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm zur Deckung seines Lebensunterhaltes weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Oder kurz: Die zu leistenden Gesamtausgaben sind höher als die Einnahmen.
Gibt es einen typischen überschuldeten Verbraucher? Wie müsste er beschrieben werden?
Frormann: Nein, einen typischen Schuldner gibt es nicht, aber wir können mit Hilfe der Milieu-Forschung feststellen, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt, die eine größere Überschuldungs-Affinität aufweisen als andere Gruppen. Generell gilt: Schichtzugehörigkeit und Lebenshaltung als Ausdruck von Werten und Grundorientierung korrespondieren deutlich mit der Bereitschaft, sich zu verschulden.
Welche Personengruppe ist das konkret in Düsseldorf?
Frormann: Dazu gehört beispielsweise in Düsseldorf die Gruppe der so genannten Expeditiven. Diese Personengruppe ist stark individualistisch geprägt und versteht sich als ,digitale Avantgarde’, ist unkonventionell, kreativ, immer auf der Suche nach neuen Grenzen und Veränderung. Dieses Milieu ist in der Medien- und Werbestadt Düsseldorf überdurchschnittlich stark vertreten — auch in den umliegenden Kreisen.
Handelt es sich denn eher um eine regionale Problematik?
Frormann: Nein, das ist kein typisch regionales Problem. Die zunehmende Überschuldung ist ein Phänomen, das sich in dieser Form seit Mitte der 1990er Jahre in ganz Deutschland und letztlich in allen postindustriellen Gesellschaften ausweitet, insbesondere aber in urban verdichteten Räumen auftritt. Auffällig war nur, dass die Überschuldung in der ansonsten schuldenfreien Stadt Düsseldorf so überdurchschnittlich stark vertreten war.
Wo liegen grundsätzlich die Ursachen für die private Überschuldung?
Frormann: Der Hauptauslöser für Überschuldung war und ist Arbeitslosigkeit oder in erweiterten Sinne Einkommensarmut. Alleine die vier Faktoren Arbeitslosigkeit, Scheidung/Trennung, Krankheit und unangemessenes Konsumverhalten lösten nach vertiefenden Untersuchungen, zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt, in den Jahren 2006 bis 2010 zwischen 65 und 70 Prozent aller Überschuldungsfälle aus.
Und welchen Anteil haben Vorbilder? Was ist beispielsweise mit der Politik?
Frormann: Die andauernden Diskussionen über die globale Staatsüberschuldungskrise trägt natürlich nicht dazu bei, die Menschen zu mehr Ausgabenvorsicht zu ermutigen. Anders formuliert: Das Negativ-Vorbild der ,großen Politik’ trägt zur Demotivation der Menschen bei.
Welche Gefahr droht, wenn sich dieser Trend nicht stoppen lässt?
Frormann: Die Gefahr ist, dass unsere Gesellschaft weiter auseinanderreißt. Es gibt diejenige Gruppe, die in ganz normalen wirtschaftlichen Verhältnissen weiterleben kann, und es gibt eine Gruppe, die aus eigener Kraft nur noch schwerlich der Schuldenspirale entkommen kann. Schon jetzt gibt es im Regionalraum Düsseldorf einen mehr oder minder veränderungsresistenten und konjunkturunabhängigen Schuldnersockel. Etwa die Hälfte Schuldner sind dieser Gruppe zuzurechnen. Sie hat im Regionalraum alleine zwischen 2005 und 2011 um rund 8800 Schuldner zugenommen. Zudem bleibt die weiterhin starke Zunahme junger und jüngster Schuldner besorgniserregend. Dies nicht zuletzt, da viele junge Menschen meist erst am Beginn einer Schuldnerkarriere stehen und mitunter ihr Leben lang unter ihrer frühen Überschuldungsproblematik leiden werden.
Wie muss gegengesteuert werden?
Frormann: Letztlich sind wir alle, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, gefordert, neue Denkansätze zu entwickeln, um angemessene Strategien zur Problembewältigung zu finden. Besonders dringlich bleibt unserer Meinung nach aber die Förderung von Finanzkompetenz der gesamten Bevölkerung, aber insbesondere der jungen und jüngsten Verbraucher.