Düsseldorf Das Atelier — der letzte aufrechte Kino-Ort vor Ort

Fast alle Kinos, die es früher an der Graf-Adolf-Straße gab, sind verschwunden, aber:

Foto: Bernd Schaller

Düsseldorf. Die Graf-Adolf-Straße ist kein schöner Ort. Das kann man ruhig mal zugeben, selbst wenn man dort wohnt oder wirkt. Nicht einmal bei Sonnenschein wird dieser Verkehrsstrang, der sich da von der Kö bis zum Hauptbahnhof windet, heimeliger. Die Graf-Adolf-Straße ist etwas, wo man durch muss. So schnell es geht. So etwas muss es geben, so etwas braucht eine Stadt, nützliche Straßen, die frei sind von der Versuchung, auf ihnen länger als nötig zu verweilen. Ich finde die Graf-Adolf-Straße trotzdem schön.

Ab und an wenigstens. Wenn mich sentimentale Gefühle beschleichen, weil ich mich mental zurück katapultiere in eine Zeit, da es dort noch blinkte und blitzte und einen Hauch von großer Welt verriet. Die Graf-Adolf-Straße stand nämlich mal für großes Kino. Es gab dort Lichtspielhäuser ohne Ende. Man konnte mit kleinem Geld die Welt sehen. Im Asta Nielsen, im City und in der Kamera liefen meist Abenteuerfilme der nicht unbedingt hochwertigen Art, während im Europa, im Savoy und im Residenz die ganz großen Leinwände lockten. Da war beinahe schon egal, was lief. Hauptsache groß.

Man brauchte damals keinen Kinoplan. Man ging da einfach hin. Irgendwas lief immer. Und wenn einem das Programm in dem einen Kino nicht passte, dann ging man halt in ein anderes. Ich kann mich noch erinnern, wie ich „Alien“ im Residenz gesehen habe und vor Angst fast gestorben bin. Riesig war der Saal. Mit Logen. Das hatte etwas Erhabenes.

Ich weiß auch noch, wie mich die riesige Leinwand im Europa beeindruckt hat. Die füllte mein komplettes Blickspektrum. Und im Savoy habe ich „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ gesehen und vor lauter Aufregung fast einen Herzinfarkt bekommen.

Um die Ecken ging es gleich weiter. Auf der Berliner Allee lockten das Universum und das Berolina. Am Bahnhof gab es das Rex. Ich erinnere mich noch an einen Tag in der Mitte der Sechziger. Da wollte ich dort den gerade angelaufenen Beatles-Film „Hi-Hi-Hilfe“ sehen — und kam nicht rein. Da war nicht nur ausverkauft. Da stand die ganze Straße voll mit jungen Menschen, die den Film sehen wollten und mehrheitlich nicht reinkamen. Dem Autoverkehr blieb keine Chance. Kein Durchkommen.

Zudem hatten sich an der Graf-Adolf-Straße auch noch etliche Filmverleiher angesiedelt. Zu deren Büros sind wir als Jugendliche oft gepilgert, haben geklopft und dann gefragt, ob sie nicht ein paar Plakate oder Fotos übrig hätten. Hatten sie oft, und dann bekamen wir jene Plakate in die Hand gedrückt, die vorher die Schaukästen der Kinos geziert und für die Faszination vorab gesorgt hatten. Ich weiß nicht, wohin all die Schätze gewandert sind. Wahrscheinlich hat sie meine Mutter entsorgt, als ich mal wieder sitzengeblieben bin. Hätte ich die Dinger noch, wäre ich wahrscheinlich ein reicher Mann.

So bleibt mir nur der mentale Wohlstand, das Gefühl, innerlich reich zu sein, weil ich eine hässliche Straße in eine Traumwelt verwandeln kann. Ganz nach Belieben. Ich gehe dann die Graf-Adolf-Straße entlang und nehme die verbliebenen Kinonamen als Erinnerungsstütze. Das Savoy, das jetzt ein wunderbares Gastspieltheater ist, das Residenz, das nach Geschlechtsumwandlung jetzt die Residenz und ein Nachtklub ist. Und dann ist da noch das letzte Kino, das Atelier. Man muss im Savoy in den Keller, und richtig groß ist das Kino auch nicht. Aber es ist halt der letzte aufrechte Filmspielort auf der Graf-Adolf-Straße.

Verruchte Filme haben wir in der Gegend auch gesehen. Schließlich lockte im Hauptbahnhof das Ali-Kino, eines von zwei Lichtspielhäusern, die durchgehend flimmerten. Man konnte rein, wann man wollte, nicht zu festen Zeiten. Das störte die Besucher selten, weil die Filme eher auf Effekt denn auf Story getrimmt waren. Da konnte man dann auch schon mal sehen, was man als Jugendlicher eigentlich nicht sehen sollte.

Natürlich haben wir das alles trotzdem gesehen. Weil wir wussten, dass wir mit unserem Alter an der Kinokasse scheitern würden, fanden wir einen anderen Zugang. Wir hackten uns quasi ins Kino. Durch die Hintertür. Die führte nämlich auf den Platz, wo heute der Eingang zum Ufa-Palast liegt. Und immer wenn jemand dort herauskam, standen wir bereit, hielten die Tür vom Zuschlagen ab und schlichen uns dann in den Kinosaal. Wurden wir erwischt und vorne rausgeworfen, probierten wir es hinten rum gleich noch mal.

Kino war groß, weil es wenig Fernsehen gab und noch keiner ahnte, dass es irgendwann mal Menschen geben würde, die sich „Ben Hur“ auf dem Smartphone anschauen. Kino war auch groß, weil wir so klein waren. Insofern führen mich meine Spaziergänge über die Graf-Adolf-Straße immer auch zurück in meine Jugend. Der kleine Hans geht da entlang und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas prägt, so etwas bleibt. Da kann die Graf-Adolf-Straße heute ruhig so aussehen wie sie aussieht. Ich liebe sie immer noch.