„Das kleinste Kind war nicht größer als ein Kugelschreiber“
Frühchen-Arzt Dr. Martin Berghäuser spricht mit der WZ über seine kleinen Patienten und große Wunder.
Düsseldorf. Martin Berghäuser (42) ist seit 2009 Oberarzt und seit 2013 Leitender Oberarzt der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin sowie der Kinderklinik am Florence-Nightingale-Krankenhaus.
Herr Dr. Berghäuser, haben Sie heute schon ein Kind auf die Welt geholt?
Martin Berghäuser: Ja, wir haben heute Morgen einen Jungen mit 1400 Gramm auf die Welt geholt. Die Mutter war in der 34. Schwangerschaftswoche, das Kind extrem wachstumsverzögert. So dass es heute für den Kleinen an der Zeit war, die Welt kennenzulernen. Und zu unserer Erleichterung macht er das sehr gut.
Sie wirken tiefenentspannt. Sind Sie innerlich auch immer so ruhig?
Berghäuser: Nein, aber es gehört dazu, eine gewisse Sicherheit auch auszustrahlen. Wenn Eltern in einer Situation zu uns kommen, in der das Leben ihres Kindes bedroht ist, bringt es nichts, wenn ich diese Ängste auch noch triggere. Vielmehr muss es unser Ziel sein, und da gehört das gesamte Team dazu, diese Familie auf die Situation bestmöglich vorzubereiten. Es gibt Ängste, die sind da, die sind teilweise diffus und nicht rational. Dann geht es darum, dieser Angst etwas Reales entgegenzuhalten. Und die Realität, die die Medizin zu bieten hat, ist meist weniger bedrohlich als das, was Doktor Google und die eigene Angst zu bieten hat.
Was war das kleinste oder leichteste Kind, das Sie versorgt haben?
Berghäuser: Ich durfte ein Kind unter 300 Gramm versorgen. Das Kind war nicht größer als ein Kugelschreiber. Der Junge geht heute auf eine Regelschule. Am FNK wog das kleinste Kind 340 Gramm. Das Kind lebt, ist selbstständig, wenn auch etwas entwicklungsverzögert. Das zweitkleinste wog 400 Gramm und geht heute in den Kindergarten und wird als altersentsprechend eingestuft. Das sind sicherlich Wundergeschichten, da darf man keine Regel draus machen. Das darf auch nicht die Basis von Beratung bei Eltern sein.
Das FNK setzt seine Grenze bei der Versorgung von Frühgeborenen bei der Schwangerschaftswoche 22+0. Wieso genau dort?
Berghäuser: Das ist eine individuelle Grenze. Unterhalb dieser Grenze des medizinisch Machbaren gibt es sehr, sehr wenige Kinder, die eine gute Entwicklung gemacht haben. Die gesetzgeberisch vorgegebene Grenze liegt bei 24+0, ab da sollen alle Kinder versorgt werden. Ich tue mich mit Grenzen allerdings sehr schwer, weil sie nicht den Menschen reflektieren.
Was meinen Sie damit?
Berghäuser: Meiner Meinung nach müssen bei der Entscheidung, ob ein Kind versorgt werden soll oder nicht, verschiedene Faktoren miteinbezogen werden, auch die Frage, wie Eltern mit Krankheit und Behinderung umgehen. Es gibt Familien, die sagen, sie wollen ihr Kind begleiten, egal wie krank es sein wird. Andere wiederum sagen, bei der Schwangerschaftswoche 22+0 und drei bis fünf Prozent Wahrscheinlichkeit auf gesundes Überleben, macht es für sie keinen Sinn. Und beides ist legitim. Wir als Krankenhaus haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen. Aber unter der Bedingung: Wenn es medizinisch keinen Sinn macht, erklären wir, dass es keinen Sinn macht, wollen dann aber auch nicht mehr diskutieren. Um das Kind zu schützen.
Ist der Umgang mit den Eltern für Sie die eigentliche Herausforderung oder die medizinische Versorgung der Kinder?
Berghäuser: Ich sage mal so: Es gibt einen Patienten und eine ganze Menge Menschen drum herum, um die wir uns kümmern müssen. Damit meine ich nicht nur die Eltern und Großeltern des Kindes. Es geht um alle Menschen, die die Eltern beeinflussen.
Im vergangenen Jahr hat sich ein besorgter Vater eines Frühchens an die Öffentlichkeit gewandt und hat Hygienemängel auf der Neonatologie angeprangert. Was ist damals schief gelaufen?
Berghäuser: In diesem Fall ist es uns nicht gelungen, einem besorgten Vater die persönliche Angst zu nehmen.
Zu dem Zeitpunkt damals war der VRE-Keim auf der Station festgestellt worden. Das Krankenhaus hat ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben, um den Fall im Nachhinein noch einmal zu analysieren. Was ist dabei herausgekommen?
Berghäuser: Das Ergebnis des Gutachtens steht noch aus. Wir haben nach dem Vorfall aber selbstverständlich alle Abläufe überprüft und hinterfragt. Das Gesundheitsamt hat uns bestätigt, dass wir verantwortungsvoll gehandelt haben, dass wir durch frühzeitige Reaktion und sofortige Umsetzung der Hygienemaßnahmen eine weitere Ausbreitung des Keims erfolgreich verhindert haben.