Gesellschaft Der bittere Abgang der Philosophen

Düsseldorf · Über 20 Jahre lang wurde im Café Philosophique auf hohem Niveau die freie Rede gepflegt. Nun ist der Verein aufgelöst. Das letzte Wort hat eine Richterin.

Alle zwei Wochen wurde im Café Philosophique in der Destille – hier mit Moderator Alexander Kerber – leidenschaftlich diskutiert. Das letzte „Vereinstreffen“ fand vor Gericht statt.

Foto: Judith Michaelis

Die Pflege der freien Rede und das Debattieren auf hohem Niveau waren die Ziele des französischen Philosophen Marc Sautet, als er Anfang der 90er Jahre in Paris das erste Café Philosophique gründete. Die Idee verbreitete sich schnell, inzwischen wird in 150 Städten mit Leidenschaft diskutiert und gestritten. Das heißt, jetzt sind es nur noch 149. Denn das Düsseldorfer Café Philosophique existiert nicht mehr. Der Verein wurde aufgelöst, weil ein Streit um ein Thema völlig aus dem Ruder lief und die richtigen Worte fehlten, um die Fehde zu beruhigen. Und es kam noch schlimmer. Die Auseinandersetzung der Philosophen wurde zum Fall für Straf- und Landgericht. Das letzte Wort in Sachen Debattier-Club hatte am Freitag eine Zivilrichterin.

Themenvorschlag wurde erst gar nicht zur Diskussion gestellt

Sautet selbst war damals zur Gründung des Vereins nach Düsseldorf gekommen, der sich an jedem zweiten Sonntag im Malkasten, später in der Destille an der Bilker Straße traf, um sich der schöngeistigen Streitkultur zu widmen. Mehr als 20 Jahre wurde eifrig philosophiert. Immer nach dem gleichen Schema: Die Teilnehmer durften Themen vorschlagen. Dann wurde entweder abgestimmt, oder der Moderator suchte sich einen besonders inspirierenden Vorschlag aus.

Bis zum Mai vergangenen Jahres. Da hatte ein 76 Jahre alter Jurist die Idee, das Thema „Existenzrecht Israels“ zu diskutieren. Das war im Prozess zwischen den beiden Parteien unstrittig. Über den Vorschlag allerdings wurde damals nicht einmal abgestimmt. Darüber empörte sich der Mann so heftig, dass er bei der nächsten Versammlung zwei Wochen später seinem Ärger Luft machte und diesen Vorgang eine „hinterfotzige Zensur“ nannte.

Eine Viertelstunde lang wurde danach in einem Ton gestritten, der Philosophen wenig würdig war. Dann schien aber doch zunächst wieder Ruhe einzukehren, das Treffen endete den Umständen entsprechend harmonisch.

Es war aber nur die Ruhe vor dem Sturm. Denn der zweite Vorsitzende sprach gegen den 76-Jährigen schriftlich ein Hausverbot aus, schickte das Schreiben aber an eine falsche Adresse. So tauchte der Jurist nichtsahnend zwei Wochen später zum nächsten Café Philosophique wieder auf. Es kam zum Eklat, die Polizei wurde gerufen, um das Hausverbot durchzusetzen. Damit nicht genug, gegen den streitbaren Senior wurde auch noch eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet. Der wiederum wehrte sich mit einer Zivilklage gegen das Hausverbot. Die Affäre löste auch bei den Vereinsmitgliedern heftige Reaktionen aus. So heftig, dass das Café Philosophique sich auflöste und liquidiert wurde.

In dieser Woche hatte dann gleich zweimal die Justiz das Wort. Am Mittwoch musste sich der 76-Jährige wegen Hausfriedensbruchs vor dem Strafrichter verantworten. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Schließlich hatte der Jurist von dem Hausverbot noch gar nichts gewusst, als er von der Polizei aus der Destille entfernt werden sollte.

Am Freitag schließlich folgte das Zivilverfahren. Das begann damit, dass die Richterin fast philosophisch feststellte, dass der Streitgrund nicht mehr existiert. Denn ein Verein, der sich aufgelöst hat, kann auch das Hausverbot nicht mehr rückgängig machen. Und Veranstaltungen gibt es auch nicht mehr. Aber dem 76-Jährigen und seinem Rechtsanwalt ging es auch ums Prinzip. Doch da wollte sich die Richterin, anders als Debattier-Freunde im Café, nicht auf lange Diskussionen einlassen. Sie hält das erlassene Hausverbot für rechtmäßig, weil die Veranstaltung von dem Juristen gestört worden sei. Darum habe der Vereinsvorstand als Hausherr das Recht, ein Hausverbot zu erlassen. Ob die „hinterfotzige Zensur“ ein Grund für solch drastische Maßnahmen ist, sei in dem Verfahren überhaupt nicht relevant. Ein Urteil will die Zivilkammer aber erst am 18. Oktober verkünden.

Inzwischen hat sich eine Philosophen-Gruppe, die auf der Seite des 76-Jährigen steht, neu formiert. Die Freunde des geschliffenen Wortes treffen sich jetzt an jedem zweiten und vierten Monat im Restaurant Freiligrath an der Bilker Kirche. Pünktlich ab 16.30 Uhr wird leidenschaftlich gestritten. Einen Verein wollen sie nicht mehr gründen. Der passt irgendwie nicht zum Gedanken der freien Rede.