Düsseldorf Der vorgelebte Schönheitswahn

HeideMarie Eich bietet jungen Frauen eine Anlaufstelle bei Problemen — vor allem Essstörungen sind nach wie vor ein Thema.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. HeideMarie Eich (55) ist Sozial- und Traumapädagogin sowie Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie arbeitet seit rund zehn Jahren in der Beratungsstelle des Vereins Pro Mädchen — Mädchenhaus Düsseldorf.

Frau Eich, wie viele Mädchen haben im vergangenen Jahr das Beratungsangebot in Anspruch genommen?
Eich: Das waren 184 Mädchen und junge Frauen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 14 Prozent.

Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
Eich: Ich gehe davon aus, dass es auch daran liegt, dass wir als Beratungsstelle bekannter geworden sind. Auch durch zahlreiche Schulkooperationen. Über die Projekt- und Bildungsarbeit erreichen wir jährlich etwa 800 Mädchen.

Mit welchen Anliegen kommen denn die Mädchen?
Eich: Das sind verschiedene Themen. Innerfamiliäre Gewalterfahrungen, auch in sexualisierter Form. Aber auch von seelischen Gewalterfahrungen, Beleidigungen und Demütigungen berichten uns die Mädchen. Die Folgen dieser Gewalt zeigen sich teilweise in selbstverletzendem Verhalten, suizidalen Gedanken, eigenem gewaltbereiten Verhalten. Ein nach wie vor großes Thema sind auch Essstörungen.

Hat dieses Thema in den vergangenen Jahren zugenommen?
Eich: Das Thema Essstörungen ist definitiv stärker in den Vordergrund gerückt — allein durch das unglaublich eingrenzende Schönheitsideal, das auch, aber nicht allein über die Medien vermittelt wird. Die eigenen Mütter, Tanten und älteren Geschwister leben es ja auch schon vor: Sie wollen schlank bleiben, machen Diäten, treiben Sport, um ihre Figur zu halten und haben Angst vor jeder Falte.

Wie beeinflusst das die Mädchen?
Eich: Schon bevor es zu einer ernsthaften Essstörung kommt, legen Mädchen Verhaltensweisen an den Tag, die zeigen, wie wichtig ihnen das Aussehen ist. Wenn wir in Schulen Präventionsarbeit machen, fragen wir beispielsweise in die Runde, welches Mädchen sich wohl im eigenen Körper fühlt. In der fünften Klasse heben dann nur noch drei oder vier Mädchen die Hand.

Wann sollten bei Eltern denn die Alarmglocken schrillen?
Eich: Wenn Mädchen in ein Alter kommen, in dem sich der Körper verändert, ist es normal, dass sie verunsichert sind. Wenn dann auch noch Sprüche von Gleichaltrigen kommen, fühlen sie sich völlig allein gelassen. Da sollten Eltern ansetzen und die Probleme ihrer Tochter ernstnehmen. Sie sollten nachfragen, wo denn der Schuh drückt und das Mädchen dafür sensibilisieren, dass da noch viel mehr ist, wodurch es sich auszeichnet — außer dem Aussehen.

Wir sprechen auch von der Pubertät, die für Eltern ebenfalls eine schwierige Zeit ist. Wie kommen Eltern da an die Tochter heran?
Eich: Es die Zeit der großen Verunsicherung. Und sagen wir es gerade heraus: Mädchen sind in dieser Zeit oft unausstehlich. Aber sie finden sich auch selbst unausstehlich, deshalb ist es umso wichtiger, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Gemeinsame Rituale können helfen: Auch wenn es die Zeit nicht erlaubt, jeden Tag gemeinsam zu essen, sollte das doch ein bis zweimal die Woche eingehalten werden. Eltern sollten zeigen: Wir sind da. Aber das Kind nicht erdrücken.

Und wenn Eltern merken, dass sich eine Essstörung anbahnt? Wie reagieren sie am besten?
Eich: Wenn Eltern ihre Kinder darauf ansprechen, wird erst mal abgeblockt. Deshalb sollten Eltern auf gar keinen Fall davor zurückscheuen, eine Fachberatung in Anspruch zu nehmen, die ihnen zeigt, wie sie am besten einen Zugang finden. Viele Eltern stellen den Mädchen auch einen Kontakt zu unserer Beratungsstelle her. Wenn eine von uns mit dem Mädchen spricht, wird das eher angenommen, als wenn es die eigenen Eltern machen.

Wie sind denn in der Beratungsstelle die Erfolgsaussichten, das Mädchen aus der Krise zu führen?
Eich: Das hängt immer auch mit der Kooperationsbereitschaft des Mädchens zusammen. Einige kommen einmal und nie wieder, andere regelmäßig über einen längeren Zeitraum, bis sie sich selbst und wir sie für stabil halten. Zuletzt habe ich eine Postkarte von einem Mädchen bekommen, dass an Magersucht litt. Sie schrieb mir, dass sie zwar das gleiche Gewicht wie vor eineinhalb Jahren in der Beratungsstelle hat, aber ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Körper und ein neues, gesünderes Verständnis für sich und ihre Bedürfnisse gefunden hat. Das ist ein Erfolg.