Schwerpunkt Oper Wie die Oper uns staunen lässt

Düsseldorf · Die Deutsche Oper am Rhein startet in diesen Tagen in ihre neue Spielzeit. Der Düsseldorfer Fotograf Andreas Endermann hat die Künstler des Hauses auf besondere Weise porträtiert. Wir nehmen seine Bilder zum Anlass für fünf Geschichten rund um Musik, Bühne und Kulturbauten.

Monika Rydz und David Fischer spielen in „Geisterritter“ Ella beziehungsweise Jon Whitcroft. Die Oper feiert am 20. September Premiere in Düsseldorf und ist auch am 24., 29. und 30. Oktober mit weiteren Aufführungen bis Januar 2020 an der Heinrich-Heine-Allee zu sehen und hören.

Foto: Andreas Endermann

David Fischer macht ein Gesicht, als sehe er zum ersten Mal einen Airbus A380. Monika Rydz macht ein Gesicht, als sehe sie zum ersten Mal einen Mann, der einen Airbus A380 sieht. Ihre Augen sind größer als üblich, die Lippen hält es nicht mehr aufeinander. Die beiden staunen über den Geisterritter, den sie erblicken. Die beiden werden uns bald staunen lassen, wenn sie in der gleichnamigen Oper als Ella Littlejohn und Jon Whitcroft singen.

Der Fotograf Andreas Endermann hat Monika Rydz und David Fischer und viele weitere Künstler der Rheinoper so porträtiert. Der Düsseldorfer hat auf einer kleinen Bühne im Haus an der Heinrich-Heine-Allee zwei graue Wände in einem engen Winkel aufgebaut und die Sänger gebeten, passend zu ihrem Stück, ihrer Zusammenarbeit, ihren Gedanken zu posieren. Wir haben uns von diesen besonderen Bildern zu Geschichten rund um die Oper und die Kultur in Düsseldorf inspirieren lassen, die in dieser Ausgabe erscheinen.

Die Bilder von Andreas Endermann prägen auch das Magazin der Oper für die Spielzeit, die in diesen Tagen beginnt. Seit dem zweiten September-Wochenende sind schon einige Wiederaufnahmen zu erleben, für den 20. September ist die erste Premiere geplant, eben „Geisterritter“. Ihr folgen bis zum nächsten Sommer noch fünf neue Stücke in Düsseldorf, unter anderem „I puritani“ von Bellini (ab 18. Dezember), „Alcina“ von Händel (ab 14. Februar 2020) und „Die Fledermaus“ (ab 25. Januar 2020), die nun aus Duisburg an die Heinrich-Heine-Allee kommt.

Die Faszination von Oper ist so unterschiedlich wie das Publikum

Wie gelingt es der Oper, die Zuhörer und -schauer so staunen zu lassen, wie die beiden Protagonisten auf dem Foto? Wohl auf so unterschiedliche Weise wie Menschen und ihre Erfahrungen unterschiedlich geprägt sind. Gehen wir in das Düsseldorfer Opernhaus, an einem ganz normalen Opernabend, so trifft man auf eine überaus große Bandbreite an „Staunern“. Oft über Klischees hinweg, aus nahezu allen Teilen der Gesellschaft. Jeder von diesen erlebt das Staunen anders. Wirklich jeder.

Denn Oper ist auch ein Spiegel, in dem sich die Gefühle und Emotionen des Individuums auf diese oder jene Weise hineinprojizieren lassen und nahezu magisch zurückgeworfen werden. Manchmal fordert sie einen heraus, manchmal lässt sie uns träumen, dann wieder lachen oder weinen. Dies durch eine ur-europäische Tradition, die im Laufe der Jahrhunderte zu einem festen Kanon an Regeln und Gebräuchen geworden ist, mit denen jede neue Oper im Laufe der Jahre gespielt hat, auch mal, um alles anders zu tun als zuvor.

Doch eines ist konsistent: In der Oper wird live und unverstärkt nach exakt vorgegebenen Noten gesungen – im Normalfall natürlich, denn es gibt schließlich Experimente anderer Natur. Es gibt ein Orchester, das die Sänger ebenfalls nach genauen Vorgaben des Komponisten begleitet, einen Dirigenten, der alles musikalisch zusammenhält, Regisseure, die die Stoffe, aus denen die Oper gemacht ist, deuten und in Bilder und Handlungen übersetzen. Dies alles geschieht mit einem riesigen Team, hinter, manchmal unter oder auch über der Bühne mit dem Ziel, Kunst zu schaffen.

Kunst, die aber immer schon und vielleicht früher sogar mehr als heute, auch unterhalten soll. Oper ist ein Hybrid aus ernster Kunst und effektvollem Theater. Oper war seinerzeit Mainstream, war oft die Unterhaltung für die Stadtgesellschaft, erst mit der Zeit verlor es diese universelle Rolle. Doch sehr vieles, was wir heute in populärer Kultur wiederfinden, hat irgendwann irgendwie ihren Ursprung im Musiktheater. Filmmusik wäre etwa ohne Wagners Innovationen kaum vorstellbar. Und so manche Band – wenn nicht alle – schöpfen aus Mitteln, die die Oper im Laufe der Jahrhunderte überhaupt erst denkbar gemacht hat: Bühnenshows etwa, in denen nicht nur gesungen, sondern auch „performt“ wird. Was Oper heute aber mehr denn je kann, ist, mit sehr reduzierten, handgemachten Mitteln, Geschichten zu erzählen, die mit Wort und Bild allein nicht so erzählt werden können.

Wenn etwa eine Sopranistin in ihrer Rolle auf der Bühne über ihren Geliebten singt, die Musik aber durchscheinen lässt, dass die Liebe eigentlich vergiftet ist. Wenn ein Held im höchsten Glück im Orchester von drohenden Motiven konterkariert wird, weil man erahnen kann, dass er bald einem Verhängnis zum Opfer fällt. Wenn mehrere Menschen zeitgleich singen und durch Musik ihre jeweilige Perspektive auf das, was gerade auf der Bühne passiert ist, zu einem großen harmonischen Ganzen zusammengeführt wird, dann ist Oper in Höchstform. Sie kann aber auch politisch sein, zum Diskurs einladen, Skandalisieren. Jede Oper ist anders, jeder Komponist, jede Inszenierung – wie bei der Vielfalt der Besucher – gilt auch hier: „Die“ Oper gibt es nicht, auch wenn es manche aus welchen Gründen auch immer gerne so darstellen mögen.

Düsseldorfer Oper hat Angebote für jedes Alter

Die Deutsche Oper am Rhein hat in den vergangenen Jahren mehr und mehr Menschen zum Staunen gebracht. Vor allem durch eine verstärkte Schwerpunktsetzung auf Musiktheater für alle Altersklassen. Die „Junge Oper am Rhein“ bietet nicht nur großen Theaterzauber wie „Geisterritter“, die in Kooperation mit Dortmund und Bonn produziert werden; hierzu arbeiten die Häuser als „Junge Opern Rhein-Ruhr“ zusammen. Hier hat vor allem auch zeitgenössische Musik eine zentrale Bedeutung. Kinder begegnen zeitgenössischen Klängen übrigens häufig viel direkter und natürlicher. Aber auch Partizipation und Angebote für Schulen und Kindergärten sind essentiell.

Dafür haben die Verantwortlichen auch neue Wege eröffnet, etwa mit Projekten wie Musiktheater im Labor für Menschen zwischen 16 und 28 Jahren oder „Opernmacher“, wo Jugendliche ihre eigene Oper schreiben. Auch für die ganz Kleinen gibt es Angebote, beispielsweise mit der mobilen Produktion „Nils Karlsson Däumling“ unter der Regie von Anselm Dalferth, die in die Kitas geht. Jener wurde übrigens dafür jetzt für den Theaterpreis „Der Faust“ nominiert.

Es ist letztlich leichter, als viele meinen, das Staunen in der Oper für sich zu entdecken. Einzige Voraussetzung: Neugierig sein, sich einlassen, hingehen und wenn es gut läuft: mitreißen lassen; wenn nicht, ist es ja auch nicht schlimm. Günstige Karten gibt es übrigens schon ab 19 Euro (bei der jungen Oper sogar nur acht Euro). Wieder versuchen lohnt, denn nicht jedes Werk passt zu jedem Hörer. Die Unterschiede können frappierend sein. Da hilft auch bisweilen eine kindliche Offenheit.

Es gibt in der neuen Spielzeit einige gute Möglichkeiten, den Weg zum Staunen für sich zu entdecken und es müssen nicht immer Premieren sein wie „Samson et Dalila“ von Saint-Saëns (ab 18. Oktober) oder Verdis Macbeth (ab 29. Mai 2020). Wie wäre es mit der zeitlos fokussiert inszenierten „La Traviata“ (am Samstag) in der Inszenierung von Andreas Homoki oder „Petruschka“ und „L’Enfant et les Sortilèges“ an einem Abend in der Kult-Version als Animations-Erlebnis mit der Theatergruppe „1927“? Oder eine ganz andere Welt: Sich an Wagners Ring heran trauen? Mozarts Don Giovanni beim Verführen über die Schulter schauen? Und dann gibt es ja auch noch das Ballett.