Düsseldorf Diese Praxis vergibt reines Heroin
Diamorphin soll schwer Suchtkranken eine neue Behandlung bieten. In zwei Wochen startet der Betrieb an der Bendemannstraße.
Düsseldorf. Rundherum an den Wänden stehen weiße Stühle, dazwischen schmale Glastische. Die Wand füllt ein riesiges Panoramafoto der Küste vor Capri. Holzboden, helles Licht. Ein freundlicher Raum. Hier sollen in zwei Wochen schwer suchtkranke Menschen sitzen und sich Injektionen setzen. Mit Diamorphin. Reinem Heroin. Die Ärzte Christian Plattner und Claus Lamprecht eröffnen an der Bendemannstraße die erste Ambulanz in Düsseldorf.
Seit 2009 kann Diamorphin als Medikament an Süchtige verabreicht werden — nach Modellprojekten in mehreren deutschen Städten. 2010 sagte die Düsseldorfer Kommunalpoltitik — nach anfänglichem Zaudern der CDU — Ja zu einer Ambulanz. Doch passiert war seither nichts.
Der Hintergrund: Methadon und andere Ersatzstoffe dämpfen zwar den körperlichen Entzug für die Süchtigen. Aber sie haben nicht die positiven Effekte, die das Heroin hat: den Kick, die antidepressive, schlaffördernde, angstlösende Wirkung. Eine gewisse Gruppe schafft es deshalb trotz der Substitution nicht, ganz auf das Straßenheroin zu verzichten. Das Problem: Es ist illegal, teuer und „sechs bis sieben Prozent sind wirklich Heroin — der Rest ist Dreck“, verdeutlicht Arzt Lamprecht. Die Streckmittel machten die Menschen krank, dreckige Nadeln ohnehin.
Die beiden Düsseldorfer Mediziner führen seit vielen Jahren zwei Methadonpraxen. Aus Überzeugung. Sie wollten mit der Behandlung von Suchtkranken „raus aus der Schmuddelecke“, erklärt Lamprecht. Sucht solle als das behandelt werden, was sie eben sei: „eine chronische Rückfallerkrankung“. „Ein Drittel unserer Patienten führt ein ganz normales Leben“, verdeutlicht sein Partner Christian Plattner. „Bei uns ist auch Oberkassel zu Gast.“ Die Methadonpatienten kämen, holten sich ihre Medizin ab und gingen zur Arbeit. Er vergleicht es mit Insulin für Diabetiker.
Die Schwelle für die Vergabe des reinen Heroins auf Kosten der Krankenkasse ist höher als für Ersatzstoffe wie Methadon. Die Patienten müssen mindestens 23 Jahre alt sein, seit fünf Jahren süchtig, müssen zwei andere Behandlungen erfolglos hinter sich gebracht haben und überwiegend intravenös konsumieren — was der Knackpunkt für viele Menschen ist, die für das Programm infrage kommen. Denn auch unter Junkies gilt die Nadel als Endstation — deshalb rauchen viele die Droge lieber.
Auch für die Ärzte aber lag die Latte hoch. Ihre Praxis ist mit Sicherheitsfenstern und Türen ausgestattet, Bewegungsmeldern, 360-Grad-Kameras. Ein Raum wurde mit 45 Zentimeter dickem Stahlbeton ummantelt — dahinter der Tresor für das Diamorphin. Alle Mitarbeiter tragen „Panic Buttons“ um den Hals: Auf Knopfdruck wäre die Polizei innerhalb von drei Minuten mit einem Großaufgebot vor Ort, sollte jemand die Vorräte plündern wollen. „Es ist aber noch in keiner anderen Einrichtung passiert“, berichtet Lamprecht.
Die Düsseldorfer Ambulanz wird erst die zehnte in ganz Deutschland sein. Warum, kann sich Christian Plattner leicht erklären: „Eigentlich kann man es sich nicht leisten.“ Einen hohen sechsstelligen Betrag hätten sie in die neue Ambulanz investiert. Das gehe nur, weil ihre Praxis schon groß genug sei und das Investment auf lange Sicht ausgelegt.
Mit ein bis zwei Hand voll Patienten startet das Düsseldorfer Programm Mitte des Monats, allmählich steigt die Zahl dann auf 150. Ziel sei dabei nie primär der Ausstieg aus der Sucht, erklärt Lamprecht, sondern Stabilität: Die Begleiterkrankungen des Konsums behandeln, den Patienten durch die Vergabe von seinem Druck befreien, immer an den nächsten Schuss denken zu müssen. Eine Anbindung schaffen — im ersten Stock des Gebäudes an der Bendemannstraße sollen eigene Berater sitzen, die psychosoziale Betreuung anbieten. Eine große Chance, glauben die Mediziner. Denn die Patienten müssen täglich kommen — bis zu drei Mal.
„Wir sind froh, dass es jetzt anfängt“, sagt Michael Harbaum, neuer Leiter der Düsseldorfer Drogenhilfe. Für viele der rund 1400 substituierten Suchtkranken in Düsseldorf sei die Diamorphinvergabe eine wichtige Ergänzung. Zudem erhofft er sich „positive Effekte“ auf die Beschaffungskriminalität.
Harbaum sieht aber auch noch weitere Lücken in der Versorgung: Insbesondere für die Beschäftigung und die Strukturierung des Tages gebe es für Süchtige praktisch kein Angebot in der Stadt.