Forschung in Düsseldorf Wenn das Herz schlapp macht

Düsseldorf · Experten informieren bei einem öffentlichen Symposium über Fortschritte in Diagnose und Therapie. Sie fordern mehr Prävention.

Der Herzforscher Gerd Heusch organisiert einen Expertentag in Düsseldorf, bei dem neue Forschungsergebnisse präsentiert werden.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen

Das Herz, Zentralorgan des menschlichen Körpers, kann beides bewirken: ein langes, gesundes Leben oder aber einen frühen Tod. Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 350 000 Menschen an einer Herz-Kreislauferkrankung, weit mehr als an allen Krebsarten zusammen. Und oft lässt sich nicht abschätzen, ob eine Durchblutungsstörung des Herzens zu einer schleichenden, chronischen Erkrankung führt oder zu einem lebensbedrohlichen Infarkt. „Doch Diagnose und Therapie haben in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht“, erläutert Gerd Heusch. Der Herzforscher organisiert deshalb einen (öffentlichen) Expertentag in Düsseldorf – mit neuen Forschungsergebnissen.

Patienten fürchten Untersuchungen mit Herzkatheter

Lange Zeit galt eine Untersuchung mit dem Herzkatheter als beste Möglichkeit, einen drohenden Infarkt zu erkennen. Doch viele Patienten fürchten diese Untersuchung, bei der ein feiner Schlauch von der Leiste oder dem Arm aus durch ein Blutgefäß bis zum Herzen vorgeschoben wird und Verengungen auf dem Bildschirm sichtbar macht. „Das ist heute nur noch bei Patienten mit einem hohen Infarktrisiko notwendig“, sagt Gerd Heusch. Bei allen anderen sei es möglich, das Risiko auf andere, weitaus schonendere Weise abzuschätzen: aus einem Mix von Informationen (Alter, Vorerkrankungen, EKG und Laborwerte) und einer Untersuchung mit dem Computertomografen, also einem bildgebenden Verfahren. Heusch spricht von einer „deutlich patientenfreundlichen Verbesserung“.

Um ein Risiko für koronare Herzkrankheiten besser abschätzen zu können, hilft mittlerweile auch ein einfacher Bluttest beim Hausarzt, bei dem neben den Cholesterin- auch die Entzündungswerte überprüft werden. Der Zusammenhang: Nach neuen Erkenntnissen geht man davon aus, dass Entzündungen der Gefäßwand die Ablagerungen und somit die Verengungen der Herzkranzgefäße auslösen.

Fortschritte aber seien nicht nur in der Diagnose, sondern auch in der Therapie spürbar. Bisher war es in der Regel üblich, bei einer Verengung der Gefäße Stents zu setzen, also kleine Implantate, die die Herzkranzgefäße offen halten, damit genügend Blut fließen kann. „Heute muss man sagen, dass Stents überschätzt wurden“, so Gerd Heusch, Professor am Essener Uniklinikum und viele Jahre wissenschaftlicher Leiter des Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrums. Er zitiert Studien, wonach bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung (sofern nicht ein Hauptgefäß betroffen ist) eine Behandlung mit Medikamenten genauso wirksam und die Überlebenschance genauso groß seien wie durch Stents. Außerdem blieben bei 30 Prozent der Patienten auch nach einem Stent-Einsatz Beschwerden wie Brustschmerzen und Kurzatmigkeit.

Sterberate durch Herzinfarkte nimmt nicht ab

Doch trotz solcher Fortschritte in der Forschung und obwohl in Deutschland an mehr als 350 Krankenhäusern spezielle Zentren für den akuten Brustschmerz (in Düsseldorf am Uniklinikum, Evangelischen Krankenhaus, Augusta Krankenhaus und Sana Kliniken Benrath) eingerichtet wurden, nimmt die Sterberate durch Herzinfarkt nicht mehr wesentlich ab. Die Erklärung des Experten: Die Menschen werden älter, haben dadurch häufig auch andere Erkrankungen. „Das ist eine große wissenschaftliche Herausforderung.“

Einer der Lösungsansätze heißt Kardio-Protektion, also ein Schutzmechanismus des Herzens, der nach Einschätzung des Forschers die Prognose verbessern und Leben verlängern kann – über die Öffnung der Herzkranzgefäße hinaus. Dieser Selbstschutz lässt sich auslösen, indem am Arm (mit einer Manschette wie beim Blutdruckmessen) die Blutzufuhr vorübergehend gestoppt wird. Dadurch wird ein Signal über das Gehirn an das Herz transportiert, das Organ wird quasi trainiert, um auch mit geringerer Blutzufuhr zu funktionieren. In Kliniken kommt dieses Verfahren beispielsweise während großer Herzoperationen zum Einsatz. Heusch: „Der Stoffwechsel wird dadurch verbessert und Herzzellen überstehen die Mangeldurchblutung besser.“ Seine Forschungsgruppe hat soeben herausgefunden, dass die Milz, zuständig für das Immunsystem, an diesem Prozess wesentlich beteiligt ist. Das Herz müsse dann in manchen Fällen gar nicht mehr direkt behandelt werden.

Dass darüber hinaus jeder zu seiner Herzgesundheit in Eigenverantwortung beitragen kann, diese Botschaft wird auf dem Expertentag der Kardiologe Professor Dietrich Baumgart transportieren. „Wir reden seit Jahrzehnten darüber, dass sich viele Menschen zu wenig bewegen, zu viel Gewicht mit sich herumschleppen, zu hohe Blutdruckwerte haben, aber viele erreicht die Botschaft einfach nicht.“ Deshalb sind nach Einschätzung der EU hierzulande die Risiken einer Herzerkrankung deutlich höher als in Ländern wie Spanien, England oder Frankreich. In seiner Praxis erlebt Baumgart täglich, wie viele seiner Patienten auch unter krankmachendem Stress leiden und wie mangelhaft das Wissen über eine gesunde Ernährung ist. „Viele haben keine Ahnung, was beispielsweise Kohlehydrate sind.“

Gerade bei Kindern beobachtet der Herzspezialist, dass sie zu süß, zu salzig, zu fett essen und zu wenig Sport treiben, und er registriert mit Sorge, dass gerade bei jungen Menschen der Zigarettenkonsum zunimmt. Was er vermisst? Eine nationale Initiative, angestoßen vom Bundesgesundheitsministerium, bei der Prominente für einen gesünderen Lebensstil werben – „was bei der Darmkrebsvorsorge sehr erfolgreich war, müsste doch auch für die Herzgesundheit möglich sein.“