Heine-Preis Heine-Preis für einen Überzeugungstäter

Düsseldorf · Der Festakt für Leoluca Orlando im Rathaus galt einem großen Visionär.

Heine-Preisträger Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, mit der Urkunde.

Heine-Preisträger Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, mit der Urkunde.

Foto: ja/David Young/Stadt

Der charismatische Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando (71), empfing am Samstag im Rathaus aus der Hand seines Düsseldorfer Amtskollegen OB Thomas Geisel den Heine-Preis, einen der wichtigsten Literatur- und Persönlichkeitspreisen in Deutschland. Die Ehrung, von Harfenklängen begleitet, galt einem „Überzeugungstäter im Sinne der Werte von Heinrich Heine“, wie es Kulturdezernent Hans-Georg Lohe am Rande des Festakts nannte. Wim Wenders, dank des Käutner-Preises selbst ein Geeehrter der Stadt, hielt eine emphatische Laudatio im voll besetzten Rathaussaal.

Als Filmregisseur von „Palermo Shooting“ kennt sich der Düsseldorfer Wenders in den so verschiedenen Patenstädten am Rhein und am Mittelmeer bestens aus. Er griff bei seiner Rede über den Anwalt, Jura-Professor, Politiker und Schriftsteller Orlando vor allem die Eigenschaft des Visionärs heraus. Dafür holte er die Kurzgeschichte „Der Sizilianische Karren“, die nur in deutscher Sprache vorliegt, aus seiner Westentasche und las aus ihr, um sie sogleich zu interpretieren. Ein sizilianischer Karren, so erklärte er, habe nur zwei Räder, aber die seien Symbole für Rechtsstaatlichkeit und Kultur. Wenn sich eines der beiden nicht mitdrehe, drehe sich der Karren im Kreis.

Wenders, dieser ergraute Lockenkopf, kennt sich mit Bildern aus, hat er doch 15 Jahre lang an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg gelehrt. Für ihn wie für Orlando ist die Kultur keine bloße Worthülse, sondern eine Frage der Identität Europas. Wenders wörtlich: „Wenn im Moment doch bloß Europa selbst diese beiden Räder als seine Triebkräfte, seine Achse, akzeptieren könnte: das Recht – die Menschenrechte – und seine Kultur! Beide haben Europa zu dem gemacht, was es in der Welt darstellt, aber beide sind heute am europäischen Karren allenfalls Ersatzräder, eben nicht seine Hauptachse!“ Will heißen: Der Karren darf nicht im Dreck steckenbleiben, die Menschenrechte sind ein kostbares lebendiges Gut. Hier brandete erstmals Beifall auf.

Ein kühnes Gegenbild
zum verzagten Europa

Leoluca Orlando brachte 2015 die „Charta von Palermo“ heraus. Wenders sieht darin eine große Utopie, aber auch ein kühnes Gegenbild zum „verzagten Europa unserer Tage“. Die Schrift wendet sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Populismus. Um den Deutschen den Kern von Orlandos Aussage näher zu bringen, zitierte er John F. Kennedy mit „Ich bin ein Berliner“ und Martin Luther King mit „I have a dream“. Orlando aber sagt: „Io sono persona, ich bin ein Mensch.“ (Tosender Beifall)

Für Wenders folgt auch dieser Charta eine heute notwendige Neufassung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Wenders: „Hinter der Charta von Palermo bleibt auch der Migrationspakt der UN Konferenz zurück.“ Es sei bezeichnend, wer sich gerade weigert, das zu unterschreiben, von Trump über Orban bis hin zu Salvini. Palermo aber mache seit Jahrhunderten Schule, denn die Stadt habe in San Benedetto il Moro den ersten schwarzen Schutzheiligen, einen Sohn äthiopischer Sklaven, später Franziskanermönch. Was zählt, ist also nicht die Rasse, sondern der Mensch.

Nun aber ließ es sich der Vordenker eines neuen Europa nicht nehmen, selbst das Mikrophon zu ergreifen. Am Vortag hatte er das Heine-Institut besucht, wo ihm Museumschefin Sabine Brenner-Wilczek originale Handschriften wie die „Lorelei“, eine Passage aus den „Nachtgedanken“ und ein Arbeitsmanuskript zum „Wintermärchen“ gezeigt hatte, letztere voller Korrekturen. Sie beweisen, dass Heines Leichtigkeit schwer erkämpft ist. Orlando reagierte darauf im Rathaus. Es sei auch für Palermo ein schwerer Weg gewesen, zum Zustand der Leichtigkeit, zur Achtung des arabisch-normannischen goldenen Zeitalters und zur Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Im übrigen habe ihn  schon als 21-jähriger Jura- und Philosophie-Student in Heidelberg Heines Lorelei fasziniert, die durch Schönheit betört, aber die Seemänner zugleich in den Tod führt.

Ethik und Ästhetik müssten daher in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen. Palermo jedenfalls reagiere darauf, in konsequenter Ablehnung der italienischen Regierung. Die einstige Mafia-Stadt habe sich im Kopf und im Lebensstil, nicht durch politische internationale Bedingungen verändert. An die deutschen Zuhörer gerichtet, meinte Orlando: „Wer die menschlichen Wesen in Rassen unterteilt, der bereitet den Weg nach Dachau und Auschwitz.“ Durch die Charta von Palermo erkenne seine Stadt die internationale Freizügigkeit als unveräußerliches Menschenrecht an und rege die Abschaffung der Aufenthaltserlaubnis an. Sie sei eine „wahre Sklaverei“, „eine echte Todesstrafe des 21. Jahrhunderts.

Die „prestigeträchtige Anerkennung“ des Heine-Preises (50 000 Euro) widme er Palermo, und zwar mit Dankbarkeit und Bewunderung für Wim Wenders, den berühmten Düsseldorfer, der die Stadt Palermo geliebt hat und liebt.