Der heimische Garten in Düsseldorf „Man muss Unordnung im Garten zulassen können“

Interview | Düsseldorf · Die wissenschaftliche Leiterin des Botanischen Gartens der Uni über naturnahe Gärten und invasive Arten.

Sabine Etges zeigt im Botanischen Garten der Heinrich-Heine-Universität die Gewöhnliche Berberitze.

Sabine Etges zeigt im Botanischen Garten der Heinrich-Heine-Universität die Gewöhnliche Berberitze.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Im Botanischen Garten der Heinrich-Heine-Universität gibt es eine riesige Fülle unterschiedlicher Pflanzen aus aller Welt. Hobby-Gärtner finden hier nicht nur Entspannung, sondern auch Anreize für den eigenen Garten. Doch wie sinnvoll sind weit verbreitete Arten wie Hortensien oder Kirschlorbeer eigentlich für die heimische Flora und Fauna? Die wissenschaftliche Leiterin, Sabine Etges, gibt Tipps für einen artenreichen Garten.

Frau Etges, was wäre für Sie ein „wertvoller“ Garten, aus ökologischer Sicht?

Sabine Etges: Ein Garten mit vielen verschiedenen, möglichst einheimischen Pflanzen, der auch nicht „aufgeräumt“ sein muss. Pflanzenvielfalt gibt vielen verschiedenen Tieren einen Lebensraum. Sind die Pflanzen bei uns beheimatet, bieten sie auch den hier vorkommenden Lebewesen entsprechende Habitate.

Sie meinen, ein zu stark aufgeräumter Garten sei auch nicht zu empfehlen?

Etges: Richtig, es muss nicht immer alles weggeräumt werden. Das gilt für Laub im Herbst ebenso wie für Totholz oder verblühte Stauden im Winter. Viele Insekten nutzen alte Pflanzenteile als Ablageorte für ihre Brut und als Unterschlupf. Auch andere Tiere, beispielsweise der Igel, findet in solch einem Garten eher einen geschützten Ort zum Überwintern. Ein kurz geschnittener Rasen ist pflegeleicht und auch ein wichtiges, Ruhe bringendes Gestaltungselement. Aber er ist im Vergleich zu einer selten gemähten Wiese sehr artenarm. Keine Spinne kann ihr Rad darin aufhängen, kein Schmetterling seinen Rüssel in Blütenkelche versenken – und für Kinder gibt es in einem wilderen Garten natürlich viel mehr zu entdecken.

In vielen Gärten findet man sogenannte invasive Arten, Pflanzen also, die sich stark ausbreiten und zum Problem für heimische Arten werden können. Welche Beispiele fallen Ihnen ein?

Etges: Als erstes der „Kirschlorbeer“, weil er so präsent geworden ist. Das Gehölz, das eigentlich Lorbeer-Kirsche heißt, kommt ursprünglich aus Südosteuropa. Man findet es in vielen Gärten, häufig als Hecke gepflanzt. Im Mai und Juni blüht die Pflanze üppig und lockt Insekten an. Später bildet sie sehr viele Früchte. Wie alle Teile der Pflanze sind diese kleinen schwarzen Kirschen giftig. Für kleine Kinder, Haus- und Nutztiere kann das gefährlich sein. Als invasiv gilt sie, weil sie ist sehr anspruchslos in Bezug auf ihren Standort ist und sich mit ihren Früchten stark ausbreitet. Damit verdrängt sie andere Arten. In der Schweiz wurde der Handel mit der Pflanze deshalb kürzlich verboten.

Aber es sind doch auch viele einheimische Pflanzen giftig!?

Etges: Um so wichtiger ist es, die Pflanzen schon den Kindern zu zeigen. Was kann man essen, was schmeckt nur nicht gut und was ist giftig? Und dies geht in einem vielfältigen Garten. Denken Sie an Löwenzahn, der Kindern mit seinen Pusteblumen Freude macht: In Hausgärten nicht sehr beliebt, finden sich seine Blätter in recht teuren Wildsalaten auf dem Wochenmarkt.

Gibt es noch weitere Arten, die nicht in einen naturnahen Garten gepflanzt werden sollten?

Etges: Da wir eben von invasiven Arten gesprochen hatten, fällt mir noch der Sommerflieder, Buddleja, ein. Diese asiatische Pflanze bietet zwar Nektar für unsere Schmetterlinge, ist aber so invasiv, dass sie nicht empfohlen werden kann. Als Heckenpflanzen sieht man sehr häufig verschiedene Thuja-Arten, auch Lebensbäume genannt. Diese Zypressengewächse sind in Nord-Amerika oder Asien beheimatet. Sie wachsen schnell und lassen sich sehr gut in Form schneiden. Sie bieten guten Sichtschutz, aber man wird wenige heimische Tiere in einer solchen Hecke entdecken.

Aber es gibt doch auch besonders üppige Blühpflanzen, die zwar schön aussehen, aber den Insekten wenig nutzen. Woran liegt das?

Etges: Hierfür muss ich etwas ausholen: Die Teile einer Blüte haben sich im Lauf der Evolution aus Blättern entwickelt. Je nach Steuerung bei der Blütenbildung kann zum Beispiel ein Staubblatt oder ein Blütenblatt entstehen. Dies sieht man in der Natur, etwa auch an wilden Rosen. Ihre Blütenblätter tragen manchmal den Rest eines Staubblattes. Wir Menschen haben uns dieses Phänomen zunutze gemacht und „gefüllte“ Blüten gezüchtet. Solche Blüten haben oft keine Staubblätter mehr, sondern nur noch bunte Schaublätter. Der Pollen aus den Staubblättern ist jedoch Nahrung für Insekten. Auch der Weg zum Nektar am Grund der Blüte kann versperrt sein. Und Nektar ist ebenfalls eine wichtige Nahrungsquelle für Bestäuber. Je nach Zuchtform bieten manche Blüten, etwa von Hortensien, wenig bis gar keinen Nektar oder Pollen. Sie sind steril und für Insekten gänzlich unbrauchbar. Solche Blüten können dann auch keine Früchte bilden, mit denen sich die Pflanzen natürlich verbreiten.

Sollte man dann ganz auf solche Züchtungen verzichten?

Etges: Viele Menschen mögen ja solch üppig gefüllte Blüten und erfreuen sich an der Pracht, etwa von Pfingstrosen oder Dahlien. Aber man kann ja auch zusätzlich Arten mit ungefüllten Blüten pflanzen, sodass eine gute Balance entsteht. Und auch ein paar Wildpflanzen zulassen oder anpflanzen wie die zarte Wilde Möhre, eindrucksvolle Engelwurz, leuchtende Fingerhüte und auch eine Ecke mit Brennnesseln – selbst diese haben in der Natur ihre Funktion als Futterpflanze für Insekten.

Jetzt sind wir schon bei heimischen Arten angekommen. Welche Sträucher würden Sie noch als Alternative zu den oben genannten Arten empfehlen?

Etges: Es gibt so viele heimische Arten, die nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch uns Menschen etwas bieten. Beispielsweise die Kornelkirsche. Sie bildet noch vor den Blättern zarte gelbe Blüten und bietet Insekten erste Nahrung. Ihre leuchtend roten Früchte sind bei Vögeln beliebt und man kann sie zu einer pikanten Marmelade verarbeiten. Ein weiterer schön blühender Strauch ist die Gewöhnliche Berberitze. Sie bietet Nahrung für Insekten und auch ihre sehr sauren Früchte sind essbar – aber nur die Früchte, der Rest ist giftig. Auch heimische Beerensträucher wie Himbeeren und Stachelbeeren bieten sich an. Ein Gebüschrand mit Schlehen, Weißdorn, Liguster oder heimischen Wild-Rosen bietet sehr vielen Tieren einen attraktiven Lebensraum und wir können uns an den Blüten und Früchten erfreuen.

Wie sieht es mit Stauden aus, also Pflanzen, die jedes Jahr neu austreiben?

Etges: Insektenfreundliche Arten gibt es viele – und es gibt auch viele unterschiedliche Blüten- und Nektarienformen, die von ganz verschiedenen Insekten genutzt werden. Bei der Gartengestaltung kann man auch darauf achten. Es gibt Blüten mit tief verborgenem Nektar, wie bei der Akelei, Lichtnelken oder Taubnesseln. Und es gibt Blüten, die vielen Insekten Nahrung bieten, da ihr Nektar und Pollen offen zugänglich sind. Dazu gehören Doldenblütler wie die Liebstöckel oder Fenchel. Die man dann auch noch essen kann.

Wie sieht es eigentlich mit Pflanzen aus, die aus klimatischen Gründen selbstständig oder schon vor langer Zeit in unsere Breiten gewandert sind?

Etges: Schon seit der letzten Eiszeit vor circa zehntausend Jahren wandern Pflanzen mehr oder weniger schnell wieder in unsere Breiten. Und mit ihnen natürlich auch die Tiere. Der Mensch hat später für weitere Einwanderungen gesorgt: So etwa Karl der Große, der durch seine Landgüterverordnung um 800 nach Christus viele Küchenkräuter, Heil- und Zierpflanzen aus dem Mittelmeerraum nach Nordeuropa gebracht hat: Lavendel, Rosmarin, Salbei, Kümmel, Ringelblume und viele mehr. Später haben wir viele unserer Nutzpflanzen aus fernen Ländern bekommen, wie Kartoffeln, Mais und Bohnen. Und die immer häufigeren privaten Reisen tragen mit bei zur weltweiten Verbreitung der Pflanzen und Tiere. Und natürlich auch das sich verändernde Klima. Je länger Pflanzen bei uns „zu Hause“ sind, desto größer ist die Chance auf ein natürliches Gleichgewicht.

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen inzwischen sensibler geworden sind, was naturnahe Gärten angeht?

Etges: Auf jeden Fall. Den Botanischen Garten besuchen mehr und mehr Menschen und besonders auch junge. Sehen Sie sich die Werbung an: Viele Produkte werden im Zusammenhang mit einer naturnahen Umgebung präsentiert. Das kleine Paradies auf dem Balkon mit bienenfreundlichen Pflanzen oder die liebevoll bepflanzte Baumscheibe in der Straße sind bezeichnend. Für Schrebergärten gibt es Wartelisten. Nicht immer steht der naturnahe Garten im Vordergrund, aber auf jeden Fall eine Art von Sehnsucht. Aber zum Gärtnern benötigt man gute Beratung, denn es gilt einiges zu beachten. Welche Arten kommen gut miteinander aus, aber auch die Standortbedingungen. Mag die Pflanze es sehr sonnig, eher im Halbschatten, welches Substrat und wie viel Wasser benötigt sie? Bis zur Frage, wie stark sich die Pflanze ausbreitet – Gärtnern ist nicht umsonst ein dreijähriger Ausbildungsberuf. Und ausgelernt hat man nie. Mit etwas Achtsamkeit und mehr Fokus auf „die Natur mal machen lassen“, könnten sich viele Grünflächen in nützliche Biotope verwandeln.