Eine Trauerbegleiterin berichtet Hilfe für Eltern, die ihr Kind verloren haben

Düsseldorf · Vor 30 Jahren verlor sie selbst ein Kind, jetzt hilft sie Eltern mit dem gleichen Schicksal: Sylvia Schleuter arbeitet als Trauerbegleiterin.

Sylvia Schleuter in ihrem Garten: Die Trauerbegleiterin hilft Eltern, die ein Kind verloren haben. Ihr Telefon ist eigentlich immer an.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Sylvia Schleuter weiß, wovon sie spricht. Sie weiß, wie Eltern sich fühlen, deren Kind gestorben ist, kennt den Schmerz, die Wut und die Verzweiflung – aber auch einen Weg in ein Leben, das trotzdem lebenswert ist. Ihr drittes Kind, ein kleiner Junge, starb 1991 an einer Sepsis. Inzwischen hilft sie Eltern in ihrer Trauer, seit 16 Jahren schon. 2007 gab sie dafür sogar ihren Beruf auf.

Dass das möglich ist, verdankt sie auch der Unterstützung ihrer Familie. Denn bezahlt wird sie für ihre Tätigkeit nicht – lediglich die Ausgaben etwa für Fahrtkosten oder Fortbildungen übernimmt der Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister (VEID), in dem sie Mitglied ist und der sich über Spenden finanziert. Eines ist Sylvia Schleuter nämlich wichtig: Die Trauerbegleitung ist für die Familien kostenfrei. Für die Gespräche kommt die 57-Jährige zu den Familien nach Hause.

Sie fängt dabei ein Bedürfnis auf, das viele Freunde und auch Angehörige nicht stillen können: „Trauer macht befangen“, sagt Schleuter, „und der erste Impuls ist oft zu trösten.“ Dabei gebe es zunächst keinen Trost, zudem wollten viele Eltern gar nicht getröstet werden, sondern trauern und weinen, um so ihrem Kind emotional nah sein. Und genau dabei steht sie den Familien zur Seite, führt Eltern- und Einzelgespräche und vermittelt bei Bedarf auch eine Begleitung für Geschwisterkinder. Dafür hat sie sich zunächst im Kinderhospiz als Sterbebegleiterin und danach als Notfallseelsorgerin und Trauerbegleiterin ausbilden lassen. Dreimal pro Monat übernimmt Schleuter ebenfalls ehrenamtlich 24-Stunden-Dienste in der Notfallseelsorge. Dazu organisiert sie zwei monatliche Gesprächskreise für verwaiste Eltern.

Einen festen Fahrplan für eine Begleitung gibt es nicht

Einen festen Fahrplan für eine Begleitung gibt es nicht. Schleuter begleitet Eltern, bei denen der Tod des Kindes bereits mehrere Jahre zurückliegt, ebenso wie solche, bei denen sie sogar beim Bestatter die Familie unterstützt. Am Anfang finden die Gespräche meist einmal pro Woche statt, irgendwann nur noch einmal im Monat – „aber letztlich ist die Begleitung wie auch die Trauer völlig individuell.“ Auch beim Alter der Kinder gibt es keine Beschränkungen, derzeit gebe es aber besonders viele Anfragen von Eltern, deren Kind im jungen Erwachsenenalter gestorben ist, sagt
Schleuter.

Elterntrauer gilt grundsätzlich als „erschwerte Trauer“, bei der zum Tod eines geliebten Menschen noch weitere Umstände hinzukommen können. Das sei etwa der Fall, wenn ein Gewaltverbrechen oder ein Suizid vorliegen. „Aber für jede Mutter und jeden Vater ist es das Schlimmste, wenn ein Kind stirbt. Es kehrt schlicht die natürliche Reihenfolge des Lebens um.“

Sylvia Schleuter ist ehrlich und direkt, aber trotzdem einfühlsam

Dass sie solche Sätze eben nicht nur in ihrer Ausbildung gelernt hat, sondern weiß, wie sich diese besonders intensive Trauer anfühlt, hilft ihr bei ihrer Tätigkeit. „Ich höre auch immer wieder von Eltern, dass sie auf mich zukommen, weil ich ,eine von ihnen’ bin.“ Dass sie dazu empathisch und mitfühlend ist, fällt zudem auch schon bei einem nur knapp einstündigen Gespräch auf. Sylvia Schleuter schaut ihrem Gesprächspartner direkt in die Augen, weicht nicht aus, ist ehrlich und direkt, aber trotzdem
einfühlsam.

Die Kontaktaufnahme erfolgt per Mail oder Telefon, die Anfragen kommen aus Düsseldorf, aber auch aus der Umgebung, die von Schleuter begleitete Eltern gestaltet haben. Ein zahlenaffiner Vater beispielsweise ordnete wichtige Lebensdaten seiner Tochter in einer Tabelle an, eine Mutter schrieb für ihr Kind ein Gedicht, eine andere gestaltete eine Stele für das Grab ihrer Tochter. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht aber das Gespräch, einzeln oder mit beiden Eltern, manchmal – in der Corona-Zeit verstärkt – auch bei Spaziergängen.

Ziel ist es, den Eltern dabei zu helfen, mit dem Verlust ihres Kindes irgendwann gut weiterleben zu können. Dass das langwierig und schwer ist, weiß sie aus eigener Erfahrung: Erst Jahre nach dem Tod ihres Sohnes fasste sie den Entschluss, anderen helfen zu wollen – und stellte, wie sie sagt, erst in der Ausbildung fest, dass sie es auch wirklich kann. Nähe zulassen, aber trotzdem professionell bleiben, das ist der Spagat, in dem sich Trauerbegleiterinnen bewegen. Am Abend abzuschalten gelingt ihr aber gut – auch, weil sie nach 16 Uhr außer in Notfällen keine Gesprächstermine mehr ausmacht. Ihr Handy ist aber trotzdem eigentlich immer an, außer im Urlaub, da ist es nachts auch mal ausgeschaltet.

Durchschnittlich 20 bis 30 Stunden pro Woche nimmt die Trauerbegleitung in Anspruch. Und das alles ohne Bezahlung – doch Sylvia Schleuter nimmt es gelassen. „Trauerbegleitung ist das, was ich machen will, das ist meine Aufgabe“, sagt sie, „ich bin eben hauptamtlich
ehrenamtlich.“