Düsseldorfer IHK-Chef im Interview „Wir brauchen dringend ein optimistisches Narrativ für die Unternehmen“

Düsseldorf · Der IHK-Hauptgeschäftsführer über industriellen Wandel, Impulse aus den USA – und seine berufliche Zukunft.

Gregor Berghausen in seinem Büro der IHK Düsseldorf: Der 56-Jährige war im August mit einer Delegation unter Führung von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Minnesota.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Das Büro von Gregor Berghausen „minimalistisch“ zu nennen, wäre fast eine Untertreibung. In der oberen Etage des IHK-Hauptgebäudes am Ernst-Schneider-Platz arbeitet der 56-Jährige in einem großen Raum, der kaum persönliche Dinge aufweist: ein Familienfoto auf dem Schreibtisch, die Auszeichnung „Düsseldorfer des Jahres 2021“ auf einem Sideboard. Mehr nicht. „Ich mag klare Strukturen und wenig Schnickschnack“, sagt Berghausen.

Ein neues Mitbringsel einer Reise hat es dann doch auf den Konferenztisch geschafft: Der Düsseldorfer IHK-Chef trinkt seinen Kaffee aus einer dunkelblauen Tasse mit dem Wappen von Minnesota. In diesem US-Bundesstaat war Berghausen vor Kurzem mit einer Delegation unter Führung von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). Vorher stand auch noch Kalifornien auf der Agenda.

Herr Berghausen, in sechs Wochen wird in Amerika gewählt. Wer gewinnt?

Gregor Berghausen: Es ist so eng, da kann kein Mensch eine Prognose abgeben. Aber dass ich mir Kamala Harris als neue Präsidentin wünsche, ist kein Geheimnis.

Können Sie nach Ihrer sechstägigen USA-Reise die amerikanische Politik besser verstehen?

Berghausen: Mir ist auf jeden Fall klar geworden, dass wir in Deutschland eine verklärte Sicht auf die Regierung der Demokraten unter Führung von Präsident Joe Biden haben.

Inwiefern?

Berghausen: Das von ihm unterzeichnete Bundesgesetz „Inflation Reduction Act“ zur Förderung der inländischen Produktion und ausländischer Investitionen im Kampf gegen den Klimawandel bedeutet de facto nichts anderes als „America first“. Bei dem Duell zwischen dem Republikaner Donald Trump – mit dem wir diesen Leitspruch vor allem verbinden – und der Demokratin Kamala Harris geht es also gar nicht um Protektionismus versus transatlantische Freihandelspolitik. Stattdessen müssen wir einsehen, dass sich die USA schon seit Jahren immer stärker auf ihren eigenen Markt konzentrieren. Und das werden sie auch weiterhin tun.

Was konnten Sie bei der Reise für Düsseldorf mitnehmen?

Berghausen: Am spannendsten waren für mich die Termine in Minnesota. Die Regierung dort will schneller als jeder andere Bundesstaat im mittleren Westen eine saubere Energieversorgung erreichen. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Produktion von Wasserstoff, und da haben wir uns vor Ort die Anlagen des US-Unternehmens Cummins angeschaut. Mich hat beeindruckt, dass dort schon heute nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft selbst in ihre Energiesicherheit von morgen investiert. Diesen Unternehmergeist finde ich für uns in Düsseldorf sehr inspirierend.

Die Stadtwerke arbeiten ja an Antworten auf die Frage, wie man das bisherige Gaskraftwerk Lausward künftig für „grünen Strom“ nutzen kann.

Berghausen: Dieses Düsseldorfer Kraftwerk ist geeignet für die Nutzung von Wasserstoff, das ist eine gute Nachricht für viele lokale Unternehmen, die grünen Strom und klimaneutrale Wärme benötigen!

Bis ein Wasserstoff-Kernnetz gebaut wird, könnten noch zehn Jahre ins Land gehen...

Berghausen: ...das ist politisch weit weg, aber für Unternehmen ein notwendiger Planungshorizont. Denn am Ende geht es um eine entscheidende Frage: Wie können wir die Industrie in Düsseldorf erhalten und für bezahlbare Energiesicherheit sorgen?

Am Ende entscheiden die Unternehmen selbst, ob sie hier bleiben oder lieber woanders bauen.

Berghausen: Ja. Aber je eher wir gute Rahmenbedingungen schaffen, desto mehr Planungssicherheit schaffen wir – und das ist entscheidend für die Zukunftsperspektive von Düsseldorfer Industriegrößen wie Henkel, BASF oder Mercedes-Benz. In Minnesota ist es ähnlich wie in NRW: Alle Kohlekraftwerke werden nach und nach stillgelegt, das ist für die Industrie eine große Herausforderung. Gouverneur Tim Walz hat es aber geschafft, diese Transformation positiv zu erzählen: als Vorteil sowohl fürs Klima als auch für die Zukunft von Arbeitsplätzen in energieintensiven Unternehmen. Ich sage: Wir brauchen dringend ein optimistisches Narrativ für die Unternehmen. Die Voraussetzungen dafür haben wir zum Beispiel durch den Klimapakt in Düsseldorf geschaffen.

Um solch eine Erzählung mit Leben zu füllen, müssten Firmen zunächst einiges in ihre eigene Energieversorgung investieren. Aktuell aber stehen die Zeichen eher auf Sparen: Im Sprinter-Werk zum Beispiel wird ab Oktober die Nachtschicht gestrichen.

Berghausen: Ich sehe aber auch Entscheidungen, die zeigen: Wir haben ein positives Investitionsklima in Düsseldorf – allerdings aktuell eher in Bereichen außerhalb der Industrie. So haben zum Beispiel die asiatischen Unternehmen Asahi Kasei und Infosys vor einigen Jahren große Entwicklungszentren aufgebaut.

Die meisten neuen Arbeitsplätze vor Ort haben in jüngster Zeit aber vor allem Unternehmensberatungen, Top-Kanzleien und Technologieunternehmen geschaffen.

Berghausen: Auch das ist Transformation: Düsseldorf wird im Kern immer mehr zum dienstleistungsgeprägten Standort – auch für die Industrie hier vor Ort.

Und wie transformiert sich die IHK?

Berghausen: Unser Ansatz ist: Was wir von Unternehmen verlangen, müssen wir auch selbst tun. Zum Beispiel werden alle 180 Mitarbeiter im Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) geschult. Die Nutzung eines KI-Programms wie ChatGPT soll so selbstverständlich werden wie Word.

Auch bei Ihnen?

Berghausen: Ja. Ich nutze ChatGPT für den Feinschliff von Texten und Reden, damit sie verständlicher werden. Ich bin nicht frei von Füllwörtern oder Standardformulierungen, mit denen man Menschen langweilt. Solche Sachen macht Ihnen das Ding besser. Und manchmal lasse ich ein paar Jahre alte Schriftstücke von mir in das Programm einlaufen und lasse mich inspirieren, um zeitgemäßer zu werden. So nutze ich heutzutage nicht mehr das Wort „Veränderung“, sondern spreche lieber von „Transformation“.

Sie arbeiten seit fast 30 Jahren bei Industrie- und Handelskammern, schon Ihr halbes Leben lang. Werden Sie sich noch einmal beruflich transformieren?

Berghausen: Ganz ehrlich: Mit 56 Jahren ist das Transformationspotenzial sicherlich etwas eingeschränkt. Und wenn einem der Job wirklich viel Freude macht, darf ich auch sagen: Ich würde gerne als IHK-Hauptgeschäftsführer in Rente gehen.