WHU Düsseldorf Die Zukunft des Sports

Düsseldorf · Was ist los mit der Fußball-Nationalmannschaft? Ein Düsseldorfer Wissenschaftler analysiert auch Parallelen zur Wirtschaft.

Direktor Sascha L. Schmidt ist umgeben von vielen Spielertrikots der großen Vereine der Fußball-Bundesliga.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

(ur) Sie sind alle vertreten, die großen Vereine der Fußball-Bundesliga. Da hängen ihre Spielertrikots an der Wand, exakt gerahmt und in Mannschaftsstärke signiert, ob vom FC-Bayern oder Borussia Dortmund. Und ja, Fortuna ist auch dabei. Diese Trikots sind Wegweiser zu einer umfassenden Forschung über die Zukunft des Sports – und möglichen Parallelen zur Wirtschaft. Sascha L. Schmidt, Direktor des Center für Sport und Management an der WHU-Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf, bilanziert: „Auch, wenn sich manche Mechanismen vergleichen lassen, gibt es doch gravierende Unterschiede. In der Wirtschaft können etliche Unternehmen zeitgleich an der Spitze stehen, im Sport kann immer nur einer gewinnen.“

Wie kann es gelingen, nach einem großen Sieg auch in Zukunft oben zu bleiben? Diese Frage stand am Anfang, damals als die deutschen Fußballer 2014 die Weltmeisterschaft gewonnen hatten. In seiner Analyse kommt Sascha Schmidt zu dem Ergebnis: „In der Unternehmenspraxis wie im Fußball gilt gleichermaßen: Wer starr an erfolgreichen Strategien festhält, gerät leicht in die Erfolgsfalle.“ Gerade in der Wirtschaft sei der Grund für ein Scheitern paradoxerweise oft dem eigenen Erfolg geschuldet. Und genau dies sei auch der deutschen Fußballmannschaft nach dem WM-Titel von 1990 widerfahren. Damals dachten die Verantwortlichen, so Schmidt, dass man über Jahre unschlagbar bleiben würde. „Sie verpassten es, notwendige Reformen in Angriff zu nehmen.“ Ein Blick in die Wirtschaft zeige, dass Großunternehmen wie Amazon es schafften, die Erfolgsfalle zu umgehen, indem sie kurzfristige Ziele und langfristige Strategien in Einklang bringen und die Balance halten zwischen Stabilität und Flexibilität. Kann der Fußball davon lernen? Direkt nach dem WM-Titel 2014 startete Teammanager Oliver Bierhoff das „Grand Project 2024“, einen Zehn-Jahres-Plan, in dessen Zentrum der Aufbau der DFB-Akademie stand, in der das gesamte Wissen des deutschen Fußballs gebündelt werden sollte.

Jens Lehmann nutzte bei
der WM 2006 einen Spickzettel

„Zum Rückgrat der Nationalmannschaft gehörte auch der Einsatz modernster Technologien und technischer Hilfsmittel“, erläutert Sascha L. Schmidt. So hatte das Team mit dem SAP-Konzern zur WM 2014 eine Software entwickelt, die für Wettbewerbsanalyse und Spielvorbereitung international neue Maßstäbe gesetzt habe. Nur ein Beispiel: Während Jens Lehmann bei der WM 2006 im Elfmeterschießen gegen Argentinien noch Spickzettel aus dem Stutzen zauberte, konnte sich Manuel Neuer 2014 in der Halbzeitpause via Smartphone über den gegnerischen Elfmeterschützen informieren. Mit dem „Grand Project 2024“ wollten die Verantwortlichen damals Voraussetzungen für einen langfristigen Erfolg schaffen. Heute weiß man, dass die hoch gesteckten Ziele nicht erreicht wurden. 2016 verlor die deutsche Mannschaft bei der EM das Halbfinale, bei der WM 2018 stieg sie in der Vorrunde aus, ebenso bei der WM 2022 in Katar. Was ist da schiefgelaufen? „Fußball bleibt ein von vielen unberechenbaren Faktoren und Unwägbarkeiten abhängiger Sport, und Siege sind eben nicht generalstabsmäßig planbar“, sagt Direktor Schmidt. Deshalb sei der Fußball verglichen mit der Wirtschaft letztlich „viel brutaler“. Über ein Dutzend wissenschaftlicher Studien haben Schmidt und sein Team in den letzten Jahren initiiert, darüber hinaus hat er mit internationalen Experten-Befragungen Zukunfts-Szenarien für den Sport entwickelt. So ging er beispielsweise der Frage nach, was die „Generation Z“, geboren nach der Jahrtausendwende, interessiert. Denn sie kann auf ein nie dagewesenes Entertainment-Angebot zurückgreifen, in dem Sport nicht unbedingt an erster Stelle stehe beim Zeitvertreib. Die Entscheider der Branche würden den Sportkonsum der Jungen oft überschätzen, sowohl beim Stadionbesuch als auch bei den digitalen Angeboten. Und wenn schon Fußball, interessiert diese Generation eher die Amateurliga als die Profimannschaften mit ihren Superstars, lautet eines der überraschenden Ergebnisse der Studie. Die Jungen wollen Sport nicht mehr passiv erleben, so Schmidt. Auch wenn es hierzulande kaum vorstellbar sei, dass Fans Anteile an Fußballclubs erwerben würden, um dann virtuell abzustimmen, welcher Spieler eingewechselt würde, sei dies zumindest ein interessanter Ansatz. Und die Sportbosse sollten sich Gedanken machen, wie sie junge Fans in Zukunft näher ans Spielgeschehen rücken können. Beispielsweise, indem virtuelle Technik ihnen den Eindruck vermittelt, sie seien selbst auf dem Platz, erleben das Spielgeschehen aus dem Blickwinkel des Elfmeterschützen oder des Torwarts. Schmidt spricht von einer „großen Verschmelzung“ von Sport, Musik, Film und auch Mode, die er gerade beobachtet. Die Übergänge seien dabei fließend, das würde mitunter erklären, warum die zahlreichen Dokumentarfilme über Sportler gerade so beliebt sind. Was er als Verschmelzung bezeichnet, praktiziert die junge Generation ohnehin längst, die ein Hörspiel konsumiert, gleichzeitig Musik hört und nebenbei noch „Fifa“ auf der Konsole spielt. Überhaupt könnte Technologie dabei helfen, Sport zugänglich zu machen. Als Beispiel nennt er „Play Magnus“, eine App, bei der man gegen den ehemaligen Schachweltmeister Magnus Carlsen antreten kann – in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, also auch gegen den sechs- oder 14-jährigen Magnus. Sein Fazit über die junge Generation und den Sport: „Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel.“