Ein ganzes Leben fürs Vinyl

Ralf Brendgens versorgt in seinem Laden „Hitsville“ die Düsseldorfer mit Musik. Bei ihm zu Hause gibt es knapp 10 000 Platten.

Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Um halb zehn morgens ist Ralf Brendgens noch etwas angeschlagen: Am Abend zuvor war er bei Vom Ritchie gewesen, dem Schlagzeuger der Toten Hosen, mit dem er befreundet ist. Kein Wunder: Ralf Brendgens ist schließlich Inhaber des „Hitsville“-Plattenladens in der Altstadt und versorgt Düsseldorf seit 1994 mit Musik.

Und zu seinen Stammgästen gehört eben auch Vom, dem sein deutscher Kumpel am Freitag mal kurz die Ohren langgezogen hat. Der Engländer habe irgendwann mit seinem I-Pod rumgespielt und hektisch irgendwelche Songs gesucht. „Und da habe ich ihm gesagt: Junge, warum hast du überhaupt so ein Ding? Das macht dich doch nur nervös!“ Ralf Brendgens lächelt. „Da hätte ich gar keinen Bock drauf!“

Bock hat er eigentlich nur auf Vinyl, das man aus der Hülle ziehen, auflegen und später umdrehen muss, um es zu hören. Jede Menge hat er davon zu Hause stehen. In seinem Fall muss man sogar sagen: Die Wohnung wurde dem Vinyl angepasst. Denn bei Brendgens im fünften Stock lagern auf 60 Quadratmetern und in zwei Zimmern knapp 5000 LPs und ebenso viele Singles. „Das waren sogar mal viel mehr“, sagt er. Aber als es zu eng wurde, da fing er an, „den Electro-Kram“ zu verkaufen. Heute sammelt er nur noch Punk- und Hardcore-Platten aus den Jahren 1977 bis 1985. „Man muss aufpassen“, betont er. „Sonst macht man als Sammler ganz schnell ein Fass ohne Boden auf.“

Mit den Jahren ‘77 bis ‘85 indes kann er gut leben. Es war die Zeit, in der Brendgens musikalisch sozialisiert wurde. Seine erste, selbst gekaufte Platte war zwar 1975 „I can do it“ von den Rubettes, die wenig später mit „Sugar Baby love“ weltberühmt wurden. Aber so richtig los ging es mit dem Punk der englischen Band Discharge auf deren Single „Reality of wars“ von 1979. Die entdeckte Brendgens zufällig im Laden „Rock on“ an der Schadowstraße. Er nahm sie mit nach Hause. „Und als ich sie zum ersten Mal hörte, dachte ich: Wow! Ich steh‘ im Wald!“ Fortan gab er sein Taschengeld fast nur noch für Platten aus. „Täglich“, wie er betont.

Er widmete sich der damals noch jungen Geschichte des Punkrocks: UK Subs, Ramones, Sex Pistols, The Clash. Und später Black Flag, Minor Threat und Konsorten. Zu Brendgens‘ Lieblingsscheiben gehören bis heute „Plastic Gangsters“ von den 4-Skins und die selbstbetitelte Debütsingle der New Yorker Hardcoreband Urban Waste. Beide erschienen 1982 — und damit zu einer Zeit, in der sich hierzulande gerade die Neue Deutsche Welle anschickte, mit Blödelsongs die Hitparaden zu stürmen. „Bei 4-Skins kriege ich heute noch Gänsehaut“, sagt Brendgens. Diese Mischung aus jamaikanischem Ska und Punk — das sei Jugend pur. „So richtige Um-den-Tisch-herumlaufen-Musik.“

Die Urban-Waste-Platte, die heute in der Originalversion einige hundert Euro wert ist, kaufte er Mitte der 80er bei einem Trip nach New Jersey quasi vor Ort. Zweimal sogar: Einmal zum Ins-Regal-Stellen. Einmal zum Hören. So, wie Sammler das eben machen.

Während sich der Düsseldorfer früher jedoch ständig bei Plattenbörsen und in den Plattenläden dieser Welt herumtrieb — er kam sogar mal „ohne Navigationsgerät“ bis Mexico City -, schaut er sich heute nur noch im Internet um, um seine Sammlung zu komplettieren. Oder er wartet, bis wieder einmal interessante Second-Hand-Ware in seinen Laden kommt. Ach ja: Außerdem sucht Brendgens nach einer neuen Wohnung. „Ich möchte ein Schlafzimmer zum Schlafen und ein Wohnzimmer zum Wohnen haben. Ich möchte sie nicht mehr länger mit Platten teilen“, erklärt er und muss grinsen, denn: Die Regale mit den streng alphabetisch sortierten Platten in seiner jetzigen Bude füllen tatsächlich jeden freien Meter Wand aus. Der Zugang zum Balkonfenster ist mit einem Tisch versperrt, auf dem zwei Plattenspieler, eine Stereo-Anlage und kiloweise Vinyl steht. „Irgendwann“, sagt er, „wird’s einfach zuviel.“ Und keiner außer ihm hätte so sehr das Recht, diesen Satz zu sprechen.