Stadtteilchen ESC – Frühlingsmärchen 2011

Düsseldorf · Unser Kolumnist denkt zurück an die schönsten Maiwochen, einen Riesenauflauf und eine denkwürdige Veranstaltung.

Hier lag der Rote Teppich – von der Inselstraße führte er die Delegationen von 43 Ländern zur Tonhalle.

Foto: Hoff

Von Hans Hoff

Weiß noch irgendjemand, wer 2011 den Eurovision Song Contest in Düsseldorf gewonnen hat? Nein, es geht nicht darum, dass Lena damals Zehnte geworden ist. Es geht um den Sieger. Ja, da sehe ich eine Hand nach oben gehen. Da weiß jemand, wer den ESC 2011 gewonnen hat. Ach, das bin ja ich. Ich weiß nämlich sehr genau, wer 2011 gewonnen hat: Es war der Beitrag aus Aserbaidschan. Ich weiß das deshalb so genau, weil der nächste ESC dann in Baku ausgetragen wurde, und ich musste als Berichterstatter dorthin, was nur sehr bedingt schön war. Aber davon ein anderes Mal mehr.

Ich musste vergangene Woche daran denken, als es mich in den fast menschenleeren Ehrenhof verschlug und ich mich ungefähr in der Mitte zwischen Tonhalle und Kunstpalast-Brunnen wiederfand. Ich schaute nach Süden, und auf einmal waren viele Erinnerungen wieder da. Erinnerungen an den ESC in Düsseldorf, der nach den Wünschen vom damaligen OB Dirk Elbers unserer schönen Stadt einen Werbewert von 200 Millionen Euro einbringen sollte. Was man sich halt so ausrechnet, wenn man Ausgaben von vielen Millionen Euro rechtfertigen muss, eigentlich aber weiß, dass schon in ein paar Jahren kaum ein Mensch mehr wissen will, wo der ESC 2011 stattfand. Man weiß dann, dass da mal was war, aber so ganz genau weiß man es dann auch wieder nicht. Von wegen Werbewert. Wie genau hieß noch der aserbaidschanische Siegertitel?

Ich weiß das natürlich, weil ich 2011 die schönsten Maiwochen meines Lebens hatte. Zwei Wochen lang hatte ich nichts anderes zu tun als für verschiedene Zeitungen über den ESC zu berichten. Täglich radelte ich von Unterbilk am Rhein entlang zur Arena, schaute mir dort direkt vor der Bühne an, wie der ESC-Zirkus sich organisierte, wie die Proben liefen. Zwei Wochen lang herrschte allerbestes Wetter in Düsseldorf. In meiner Erinnerung trübte nicht ein Wölkchen den Himmel in dieser wunderbaren Zeit. Der Regen kam erst nach dem Finale.

Ich stand also am Beginn der Inselstraße und schaute in Richtung Tonhalle. Auf einmal lag vor meinen Augen wieder dieser elend lange rote Teppich, der am 7. Mai 2011, einem Samstag, dort ausgerollt war und über den die Vertreter von 43 Nationen zum Bürgermeister-Empfang schreiten mussten. Nach strengem Protokoll fuhren die Delegationsbusse vor, und es stiegen all jene aus, die auf eine gute Platzierung im ESC-Finale am 14. Mai hofften.

Natürlich war auch Lena dabei. Die musste schließlich nach dem Willen ihres Mentors Stefan Raab ihren ein Jahr vorher in Oslo errungenen Sieg verteidigen. Ich hatte sie noch am Nachmittag bei den Proben in der Arena begutachten können, und ich fand, dass ihr Titel ganz passable Chancen haben könnte. Erinnert sich noch irgendjemand, wie der Titel hieß? Es war auf jeden Fall ein Riesenauflauf, und es gab ein tolles Bild, als während des Empfangs alle 43 Delegationsbusse auf der Oberkasseler Brücke parkten. Dass so etwas möglich war.

Es war halt vieles möglich in Düsseldorf in jenem Mai. Überall schwirrten ESC-Teilnehmer umher, ständig sah man diese schwergewichtigen Busse, und wenn sie hielten, spuckten sie ein fröhliches Völkchen aus, das dann in der nächstgelegenen Kneipe mal eben seinen ESC-Beitrag zum Besten gab. Ich erinnere mich noch an einen denkwürdigen Abend in der Jazz Schmiede, wo der eigentlich gar nicht zum ESC-Zirkus passende Italiener Raphael Gualazzi ein sehr stilles, sehr beeindruckendes Minikonzert gab. Weiß noch jemand, auf welchem Rang er im Finale landete?

Ich weiß nicht, ob auch noch andere den Mai 2011 so sehr genossen haben. Mein Bild mag ein bisschen beeinflusst sein von der Tatsache, dass ich halt überall dabei sein durfte. Ich hatte Ausweise für freien Zugang nach überall. Ich konnte umsonst Bahn fahren, vom ESC organisierte Ausflüge mitmachen und mich im Glanz der ESC-Sonne warm und umworben fühlen.

Kein Wunder, dass ich mein Düsseldorf verändert fand, dass ich selbst mit jedem Tag lockerer wurde. Überall war für mich was los, überall gab es was zu erleben. Ich staunte und schrieb mir die Finger wund. Alle wollten Texte vom ESC, es rappelte richtig in meiner Einnahmeschatulle. Meine Stimmung wurde von Tag zu Tag besser. Düsseldorf im ESC-Fieber, das war genau mein Ding, das war auch genau das Ding meiner Heimatstadt. Endlich durchwehte mal wirklich Leichtigkeit die Straßen, die Plätze, die Kneipen.

Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass diese Leichtigkeit teuer erkauft und deren Nachhaltigkeit anzuzweifeln ist. Aber was scherte mich das in den schönen Mai-Tagen von 2011? Ich hatte sehr großen Spaß, fand meine Stadt sehr bedeutsam. Ein bisschen war es wie jeden Tag Kirmes. Ich bekam das Leuchten nicht mehr aus den Augen.

Daran musste ich denken, als ich nun am beinahe menschenleeren Ehrenhof stand. Es gibt keinen ESC dieses Jahr. Die Menschen in Rotterdam, die mit viel Geld und Enthusiasmus das Finale am 16. Mai ausrichten wollten, wurden auf 2021 vertröstet. Kein Frühlingsmärchen dort. Kein glänzendes Finale im Fernsehen, keine Zero Points für den deutschen Beitrag. Alles sehr, sehr traurig.

Vielleicht gehe ich Donnerstag noch einmal in den Ehrenhof und stelle mir noch einmal vor, wie dann genau vor neun Jahren dort der rote Teppich lag, wie Düsseldorf glänzte, und wie die Tonhalle ein bisschen aussah wie die Sonne.

Ich werde dann auch jedem, der vorbeikommt, verraten, dass ich schon mal da war und dass es großartig war. Für mich. Und wenn man mich dann ganz nett fragt, verrate ich auch, dass der aserbaidschanische Siegertitel von Ell/Nikki „Running Scared“ hieß, dass Lena „Taken By A Stranger“ sang, und dass Raphael Gualazzi für Italien den zweiten Platz
 holte.