Kultur Bildgewitter wie in der Techno-Szene

Düsseldorf · Der letzte Rest des Kunstprojekts „Hell-Gruen“, Stefan Hoderleins leuchtende Bilderwand, steht unter der Oberkasseler Brücke zwischen Altstadt und Ehrenhof.

Ein Ausschnitt aus der leuchtenden Bilderwand von Stefan Hoderlein unter der Oberkasseler Brücke.

Foto: ja/Stefan Hoderlein

Vom April 2002 bis Oktober 2003 fand die europäische Gartenschau Euroga 2002plus statt, ein grenzüberschreitendes Projekt zwischen dem Land NRW und der Provinz Limburg. Düsseldorf steuerte ein Kulturprojekt namens „Hell-Gruen“ im Hofgarten bei. Leider hat nur Stefan Hoderleins leuchtende Bilderwand die Zeiten heil überstanden, im Gegensatz zu den Leuchtbänken von Stefan Sous, die allzu oft repariert werden mussten.

Hoderleins Bildwand liegt an der U-Bahn-Haltestelle Tonhalle, unterhalb der Oberkasseler Brücke. Der halbdunkle Durchgang war als Beginn einer Kunstmeile gedacht, auf dem Weg zwischen den Museen am Ehrenhof, der Tonhalle und der Kunstakademie. Höchstens musizierende Bettler hocken vor der Wand und hoffen auf einen Obolus. Die Kunststudenten, die an diesem Bilderteppich entlang laufen, wissen vermutlich noch nicht einmal, wer Stefan Hoderlein ist.

Dessen Vita passt allerdings nicht in das geordnete Leben eines Kunsthistorikers, geschweige denn eines Medienkünstlers, denn der inzwischen 59-Jährige sammelt und archiviert Dias, veraltete Medien also. Sie stammen aus der Techno- und House-Szene, von privaten und öffentlichen Aktionen mit wilder, elektronischer Tanzmusik. Formen des Exzesses und der Trance, aus Film und Fernsehen tauchen in den Motiven auf. Durch die Kleinteiligkeit der einzelnen Dias, aber auch durch ihre Farbigkeit und Tonvielfalt wirken sie wie aus der Zeit gefallen.

„Er hat zwei große, aber ganz gegensätzliche Lehrer: Nam June Paik und Bernd Becher. Von beiden ist er geprägt worden.“ So liest man häufig über ihn. Wer diesen Künstler mit dem demonstrativen Individualismus kennt, wird dies als blanken Hohn von sich weisen. Denn Bernd Becher hat Hoderlein nie begriffen. Das Ordentliche und Akkurate, die Typologie in den Aufnahmen des Industriezeitalters war nicht seine Welt. Hoderlein war denn auch der einzige Student, der nie zu Becher nach Wittlaer eingeladen würde.

Er erzählt: „Alle Kommilitonen waren da. Es gab auch Abendessen. Becher liebte Leute, die ihn anbeteten. Ich habe ein halbes Jahr lang geschuftet, und er hat nichts dazu gesagt. Es sagte, ich solle mir ein Thema nehmen und es genauso machen wie er.“ Als Hoderlein in der Dependance an der Karl-Anton-Straße zwei Diaprojektoren, Schalt- und Soundgeräte aufbaute, soll sich Becher gar nicht erst hingesetzt haben. Er hatte eben keinen Bock, sich diese Art der flimmernden und flirrenden Bilder anzusehen.

1988 wechselte Hoderlein zu Paik, aber dieser Professor war nie da. Hoderlein zog die Konsequenzen daraus und studierte 1989 bis 1990 in London an der St. Martin’s School of Art. Dort erlebte er die Geburtsstunde des Raves und startete durch. Er lebte den Rave, tanzte ihn selbst wie verrückt, als wolle er sein Ich auslöschen, und transformierte die Ästhetik des Ravens in die Kunst. Mit einer ganz normalen Spiegelreflexkamera für Filme nahm er seine Szenen und sich selbst auf und gab sie zur Entwicklung. Er steckte die Dias in Plexiglas-Magazine und dann einfach unter Glas. So geschehen für die Unterführung unter der Brücke.

Unter dem Titel „20.001“ sind in der Passage der U-Bahnhaltestelle Tonhalle Tausende seiner Dias installiert und von hinten beleuchtet. Angeordnet in 23 Blöcken zu je 760 Bildern. Sie stammen aus den grellen Erlebniswelten, die der Film, das Fernsehen und die Werbung mit 25 Bildern pro Sekunde durch den Äther jagen. Er hat sie aus Videos, Zeitschriften, der Musikszene und natürlich aus seinem eigenen Leben gesammelt.

 Der Titel erinnert an Stanley Kubricks psychedelisches Bildgewitter in „2001: Odyssee im Weltraum“, einen der einflussreichsten Science-Fiction-Filme, wo der Astronaut in einen Computer-Speicher geht. Das passt zu Hoderleins Arbeit. Im Katalog von „Hell-Gruen“ heißt es dazu: „Im Untergrund der U-Bahn-Passage lösen sich die Einzelaufnahmen in einen atmosphärischen Bilderteppich — ähnlich wie bei einem Rave, bei dem es nicht um den einzelnen Sound, sondern um den durchlaufenden Rhythmus geht, und nicht um den individuellen Tanzstil, sondern um ein Loslassen von Ausdruck.“ Die Bilderflut ist aktuell geblieben.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Dia-Wand überhaupt ausgewählt wurde. Letztlich hat dafür Ulla Lux vom Kulturamt gesorgt, die inzwischen kommentarlos in den Ruhestand gegangen ist, obwohl sie doch für viele spannende Projekte gesorgt hatte. Ein Beispiel ist das leider inzwischen verschrottete Vivarium von Mark Dion. Als im Sturm Ela die Bäume auf das Glashaus mit dem von Würmern zerfressenen Stamm fiel, hatte das Gartenamt nichts Eiligeres zu tun, als das Treibhaus mitsamt seinen Würmern abzuräumen; Mark Dion aber wurde weltberühmt.