Schulserie Die Schule, die ihre Kinder fördert und fordert

Düsseldorf. · In unserer Serie stellen wir die Schulen der Stadt vor. Unsere Autoren besuchen die Einrichtung an einem normalen Schultag. Am Ende des Jahres wählt eine Jury die Träger des Schulpreises, den WZ und Stadtwerke vergeben. Dieses Mal: die Helmholtzschule.

 Ben, Hanin und Silas (v.l.) beim Fahrradtraining auf dem Schulhof.

Ben, Hanin und Silas (v.l.) beim Fahrradtraining auf dem Schulhof.

Foto: Ines Arnold

Kerstin Hänsel kommt immer diese eine Assoziation in den Sinn: „Unsere Schülerschaft ist so bunt gemischt wie eine Tüte Gummibärchen“, sagt die Schulleiterin und lächelt. „Es ist von allem etwas dabei. Und das ist auch gut so.“ Und meistens, so fügt sie hinzu, sei jeder Einzelne zuckersüß. In der Grundschule Helmholtzstraße mit einem Einzugsbereich rund um den Hauptbahnhof kommen Kinder aller Nationalitäten, aus unterschiedlichen Einkommensverhältnissen und aller Gesellschaftsschichten zusammen. „Diese Schule ist der Spiegel unserer Gesellschaft“, sagt Hänsel. Die Herausforderung für Lehrer und Erzieher bestehe also vor allem darin, allen Kindern gerecht zu werden - die schwachen Schüler zu fördern und die leistungsstarken zu fordern. „Unsere Programme holen alle Kinder ab.“

Die Kinder bleiben auch nachmittags im Klassenverbund

Zurzeit besuchen rund 320 Kinder in zwölf Klassen die Helmholtzschule. Für jede dieser Klassen gibt es eine Ganztagsgruppe, in der die Schüler von einer Pädagogin am Nachmittag zwischen 13.35 und maximal 16.30 Uhr betreut werden. „Die Schüler bleiben so auch nach dem Unterricht in ihrem Klassenverbund und haben neben ihrer Lehrerin eine feste Bezugsperson“, erläutert Kerstin Hänsel das Konzept. „Das vermittelt Halt und Bindung.“ Besonders für Schüler, die zu Hause kein Deutsch sprechen, sei es von Vorteil, auch in AGs mit den anderen Schülern in Kontakt zu kommen und die deutsche Sprache zu trainieren. Beim Töpfern, Bogenschießen, Fußball, beim Kochen, Ballett, Schach oder Trommeln kämen die Schüler nämlich noch mal ganz anders miteinander in Kontakt als im Unterricht bei Mathe, Deutsch oder Sachkunde.

Auch Leen spricht zu Hause kein Deutsch. Vor knapp zwei Jahren kam sie mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland. An der Helmholtzschule besuchte sie gleich den Deutsch-Förderunterricht, der in den ersten 24 Monaten nach Ankunft eines Kindes, das gar nicht oder nur wenig Deutsch spricht, täglich mit zwei Stunden in den Stundenplan integriert wird. Mittlerweile spricht Leen fließend, erweitert täglich ihren Wortschatz und schreibt Texte nahezu fehlerfrei ab. Gerade liest sie mit ihren Freundinnen Zima, Baidaa und Milla einen Sachtext. Die Kinder erarbeiten sich Synonyme und erweitern nach und nach ihren Wortschatz. Nur die Artikel machen ihnen immer wieder Probleme: Es heißt die Kasse. Aber warum bloß heißt es nicht die Kassenhäuschen? Baidaa weiß die Antwort: „Na, weil es ,das Haus’ heißt.“ Schon in einigen Monaten werden sich die Mädchen sprachlich nicht mehr von anderen Kindern unterscheiden, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind. Das belegt auch Kerstin Hänsels Erfahrung: Der prozentuale Anteil derjenigen Kinder, die nach Abschluss der Grundschulzeit in Klasse 4 eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen, verteilt sich gleichermaßen auf deutsche Kinder wie auch auf Kinder mit anderen Nationalitäten.

Draußen auf dem Schul-Innenhof drehen heute beim Fahrradtraining einige Erstklässler ihre Runden. Einige von ihnen sitzen zum ersten Mal auf einem Fahrrad, andere haben kein eigenes Rad und den meisten fehlen Ort und Gelegenheit, das Fahren, Bremsen oder Lenken zu trainieren.

Zwei Lehrer und eine Erzieherin helfen den Kindern aufs Rad, laufen nebenher oder fangen sie im letzten Moment auf - eine schweißtreibende Angelegenheit. Silas ist hingegen ein geübter Radfahrer. Natürlich hat er heute auch sein „eigenes Bike“ mitgebracht. „Ich fahre ganz viel. Von der Hüttenstraße zum Südpark zum Beispiel. Sind genau zwei Kilometer“, sagt er. Klassenkamerad Ben hat sich wie die meisten Kinder an den Fahrrädern bedient, die von der Stadt für das Schultraining ausgeliehen wurden. Wo sein eigenes ist, das weiß er nicht genau.

Nicht nur das Fahrradfahren kommt in vielen Familien zu kurz. Schwimmen ist ein ganz ähnliches Thema. „Wir haben sehr viele Kinder an der Schule, die noch gar nicht schwimmen können“, sagt Kerstin Hänsel. Die Gründe: „Erst einmal sind die Schwimmkurse immer sehr schnell ausgebucht“, sagt Hänsel. Hinzu kommt, dass Eltern sich einen Kurs aber auch gar nicht finanziell leisten könnten. „Und für die meisten Eltern ist es auch nicht möglich, ihre Kinder ins Schwimmbad zu bringen, es scheitert schon am Weg“, fügt die Schulleiterin hinzu.

Eine Beobachtung, die auch andere Aktionen und Programme betrifft: „Wir stellen immer wieder fest, dass Angebote gern angenommen werden, sofern sie in der Schule stattfinden.

Sobald Kinder dafür irgendwo hingebracht werden müssen, wird das Angebot nicht in Anspruch genommen.“ Um dem großen Anteil der Nichtschwimmer zu begegnen, hat die Helmholtzschule neben dem Schwimmunterricht zwei Schwimm-AGs eingerichtet.

Ein Projekt, das der Schulleiterin besonders am Herzen liegt, hat auch mit Sport zu tun: die Talentförderung ab der ersten Klasse in Kooperation mit dem Stadtsportbund. „Bisher war es so, dass es den Sportcheck in Klasse 2 gab und diejenigen Kinder, die dabei gut abgeschnitten haben, zur so genannten Talentförderung nach Rath oder Oberkassel eingeladen wurden. Weil es aber unseren Eltern nicht möglich war, die Kinder dorthin zu bringen, endete jedes Mal der Weg der Kinder genau an dieser Stelle. Sie fielen bei diesem Programm jedes Mal durchs Raster“, sagt Hänsel.

Um das Problem zu umgehen, holte die Schulleitung das Programm an die Helmholtzstraße: Es findet nun schon im zweiten Jahr am Grundschulstandort statt. „Ab Klasse 1 gibt es bei uns zwei zusätzliche Sportstunden mit einem Trainer der Talentförderung. Trainiert werden Geschicklichkeit, Koordination und Ballgefühl“, so Hänsel.

Wie bunt und vielfältig das Schulleben an der Helmholtzstraße ist, zeigen auch die Flure im Erdgeschoss. Dort haben sich die Kinder der vielen AGs mit Fotos und gemalten Bildern verewigt. Aus der Koch-AG, die seit Jahren eine Mutter leitet, ist sogar ein Rezeptbuch hervorgegangen, in der die Zubereitung des Möhrengemüses mit Frikadelle neben dem afrikanischen Bohneneintopf mit Kochbanane zu finden ist.

Zuletzt ist noch ein ganz anderes Buch entstanden: Die Schüler sind mit Schulsozialarbeiterin Beate Fischer durch Düsseldorf gezogen und haben „schöne und blöde Orte“ fotografisch festgehalten und Ideen zur Umgestaltung zusammengetragen. Das Buch landete bei der Bezirksvertretung, Geld für Farbe und Ausrüstung wurde beantragt. Mit Erfolg: Bald wird eine „besonders blöde Ecke“ von den Kindern aufgehübscht. Die Unterführung nahe der Schule bekommt einen neuen Anstrich.

Demokratie wird aber auch im Klassenzimmer gelebt: Jeden Freitag halten Schüler, Lehrer und Erzieher einer Klasse eine Konferenz ab. Dann kommt auf den Tisch, was gut gelaufen ist und auch, was richtiger Mist war. Und dann werden aus zuckersüßen Gummibärchen zuweilen auch scharfe Kritiker.

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