Joachim Gauck sprach über Willkommenskultur
Der ehemalige Bundespräsident und Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität hatte für seine Zuhörer eine Altersweisheit parat.
Was verbindet Lukas Podolski, Mesut Özil, Linda Zervakis und Sibel Kekili? Auf den ersten Blick nichts, doch haben sie sehr viel gemeinsam. Denn sie alle haben einen Migrationshintergrund. Und für Joachim Gauck sind sie die besten Beispiele dafür, wie man mit eben jenem Hintergrund das Land reicher, vielfältiger und bunter gestalten kann.
Der ehemalige Bundespräsident hielt gestern im Rahmen seiner Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität eine Rede zum Thema „Deutschland, die Einwanderungsgesellschaft“. Im voll besetzten Konrad-Adenauer-Saal setzte er seine Vorlesungsreihe „Nachdenken über das Eigene und das Fremde“ fort. Das Fremde existiere, so lange es die Menschen gibt, betonte der ehemalige Pastor und Prediger zu Anfang. Verkehrt sei dies keinesfalls, diene es doch zur Abgrenzung und außerdem sei es schlicht und ergreifend einfach menschlich.
Doch wie sieht für Joachim Gauck die konkrete Realität aus? Was folgte, war zuerst eine Reihe von Zahlen, gewohnt souverän und das Publikum mit einbeziehend vorgetragen. Deutschland habe bereits in den 50er- und 60er-Jahren Millionen von Gastarbeitern aufgenommen. Seit 2015 seien es rund anderthalb Millionen Asylsuchende. Jeder fünfte Einwohner habe mittlerweile Migrationshintergrund. Realität sei aber auch, dass 2017 „nur“ 43,3 Prozent der Antragsteller als schutzbedürftig anerkannt wurden. „Es ist mir peinlich, all diese Zahlen so genau zu kennen. Doch es ist auch wichtig, die wirkliche Wirklichkeit zu kennen“, begründete Gauck. Geflüchtete hätten das Land nicht nur durch die Zahl, sondern auch durch ihre Prägung verändert. Deutschland sei vom homogenen in ein multi-ethnisches Land verändert worden. Doch die Zeit habe gezeigt, dass nicht alles so laufe, wie man es sich gewünscht habe.
„Wer ernsthaft über Begrenzung nachdenkt, ist nicht unmoralisch. Die Willkommenskultur hat an Brisanz verloren. Sie ist gut, aber sie ist naiv.“ Spätestens hier wird klar: Wer eine einlullende und schönfärbende „Alles ist gut“-Rede erwartet, der wird enttäuscht. Gauck gefällt, aber er eckt auch an. Er ist nicht nur Gutmensch, sondern auch mal unbequem.
Man hätte vieles vorher wissen könnte, betonte er, wenn man es gewollt hätte. Es reiche nicht, nur eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Häufig würden sich Parallelwelten entwickeln, die zur Falle werden. Hier habe auch der Staat zu lange gewartet. Und was schlägt er als Gegenmaßnahme vor? Unter anderem „gemeinschaftsfördernde Aktivitäten“ — ob nun im Verein oder auf der Arbeit. Es gelte, Wege für eine „doppelte Beheimatung“ zu finden.
Im Publikumsgespräch mit Rektorin Anja Steinbeck verriet Ex-Bundespräsident Joachim Gauck auch noch eine Alterserkenntnis. „Ich bin auf meine alten Tage ein totaler Anhänger dieses Landes geworden. Dieses Demokratiewunder haben die Menschen hier geschaffen.“
Dafür erhielt Joachim Gauck den größten Applaus.