Warum wird man Übersetzer?
Moshe Kahn jüngst im Heine-Haus. Der gebürtige Düsseldorfer spricht über die Geheimnisse seiner Zunft.
Giovanni Tamasio di Lampedusa (1896-1957) — seines Zeichens fürstlicher Autor aus Palermo. Bekannt ist er bis heute durch den „Gattopardo“, seinen einzigen großen Roman (und ein Visconti-Film) über den Untergang der sizilianischen Dynastie der Tomasis und den unaufhaltsamen Aufstieg des neureichen Bürgertums. Nur wenige wissen, dass er zuvor auch ein weiteres Buch verfasste „Die Sirene“.
Das Buch, das in Teilen als Vorstudie zu dem dicken Schinken „Der Leopard“ gilt, ist jetzt neu erschienen — in der Übersetzung von Moshe Kahn. Der gebürtige Düsseldorfer, Jahrgang 1942, präsentierte jetzt im Heinrich-Heine-Haus das Werk. Wir sprachen mit dem renommierten Übersetzer.
Welchen Bezug haben Sie persönlich zu Düsseldorf?
Moshe Kahn: Es ist die Stadt, in der ich geboren wurde und meine Mittlere Reife gemacht habe. Später habe ich als Regieassistent an der Deutschen Oper am Rhein gearbeitet. Das war zu Beginn der goldenen Ära Grischa Barfuss, vor 50 Jahren.
Wie kamen Sie dazu, Italienisch zu studieren?
Kahn: Die Arbeit in der Oper hat mich mit der italienischen Sprache zusammengebracht. Ich durfte in dem Jahr bei „Don Giovanni“, „Don Carlos“ und dem „Troubadour“ mitarbeiten. Das war der Auslöser. Zu Beginn meiner römischen Zeit waren meine italienischen Konversationsversuche stark vom Italienisch der Oper geprägt, das sich dann schnell zum Tagtäglichen mauserte.
Wie kamen Sie von der Oper zum Übersetzer-Job?
Kahn: In Rom arbeitete ich weiter als Regie-Assistent für Oper, u.a. bei Luchino Visconti und Mauro Bolognini, und habe auch selbst inszeniert (die italienische Übersetzung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“). Bei der Rundfunkanstalt Radiotelevisione Italiana habe ich zudem die Technik der Fernsehregie erlernt. Damals habe ich auch gleichzeitig studiert. In den späten 60er Jahren kam bei mir eine Krise auf. In dieser Zeit habe ich zusammen mit meiner damaligen Freundin Marcella Bagnasco meine erste Übersetzung begonnen und dann über Jahre fortgeführt, nämlich die erste umfangreiche Sammlung von 131 Gedichten von Paul Celan ins Italienische. Sie wurde 1976 im Mondadori Verlag veröffentlicht, und Celan hatte noch vor seinem furchtbaren Tod den Verlagen mitgeteilt, dass wir seine italienischen Übersetzer sein sollten.
Wie kamen Sie auf „Die Sirene“ von Tomasi di Lampedusa?
Kahn: Der Piper Verlag ist in Gestalt der Lektorin Eva Maria Kaufmann Ende 2015 auf mich zugekommen. Sie fragte, ob ich die gerade in Italien bei Feltrinelli herausgekommene textkritische Edition der „Racconti“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa übersetzen könnte. Ich musste zunächst ablehnen. . . Aber sie sagte, dass sie sich damit in einer schwierigen Lage befände. Und dann zog sie einen Satz aus ihrem Marketingrepertoire hervor, der umwerfend war, nämlich: „Aber der alte Fürst und Sie passen doch so gut zusammen.“ Da floss ich also hin und kapitulierte und versprach, das Buch zu übersetzen.
Welchen Stellenwert hat für Sie das Werk von Lampedusa?
Kahn: Es ist nicht umfangreich, aber das wenige, das er geschrieben hat, gehört für mich fraglos zur Weltliteratur. Leider ist er heute nicht mehr so bekannt, und überlebt, fürchte ich, vor allem durch den großartigen Film von Luchino Visconti. Aber ein paar Jahre davor war er ein so triumphaler Erfolg wie Pasternaks „Doktor Schiwago“.
Worum geht es in „Die Sirene“?
Kahn: Um die unheilbare, immer noch klaffende Wunde der Liebe eines jungen Studenten der Altertumswissenschaften zu einer Sirene, einer Meerjungfrau. Ein altes Thema der Mythologie. Von dieser Liebe erzählt er als alter Mann einem jungen Journalisten, mit dem er sich angefreundet hat. Eine eigentümliche, wunderschöne Geschichte, die Männer zum Träumen bringt.
Worauf muss der Übersetzer besonders achten?
Kahn: Ein Übersetzer sollte gut mit dem italienischen Ambiente der Erzählung vertraut sein, außerdem mit dem Stil des Autors. Er muss mit all seinem breitgefächerten Können jedem Autor, den er übersetzt, uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Fallen lauern da, wo der Übersetzer nicht ausreichend mit der Welt eines Autors vertraut ist — dann kommt es mitunter zu peinlichen Missverständnissen.
Wann sind Übersetzungen besonders gelungen?
Kahn: Wenn sie nichts Aufgezwungenes, nichts Beengtes haben. Wenn der Geist des Autors luftig und leicht durch den Text fliegt. Wenn keine kitschigen Ausrutscher auszumachen sind — dann, glaube ich, ist eine Übersetzung gelungen.
Wie lange benötigen Sie für die Übersetzung eines Buchs? Wie viele Seiten/Kapitel können Sie pro Tag übersetzen?
Kahn: Das kommt sehr auf das Buch an, auf seinen Umfang, auf seinen Stil. Für D’Arrigos „HorcynusOrca“, der 1455 Seiten hat, habe ich acht Jahre gebraucht, bei einem absolut schwierigen Stil, der viel Nachdenken bei der Umsetzung verlangte. Bei Paolinis „Petrolio“, das 700 Seiten zählt, brauchte ich gute 8 Monate. Camilleris historische Romane gingen mir schneller von der Hand, auch Luigi Malerbas Romane. Und am Ende steht dann allerdings immer die Überarbeitung, die verlangt noch einmal alles ab.
Welchen Stellenwert genießen Übersetzer im Literaturbetrieb?
Kahn: Ich glaube, sie werden überhaupt nicht so hoch geschätzt, wie sie es verdienen würden. Ich will hier nicht die Verlage aufzählen, die sich hartnäckig weigern, Übersetzern den gerechten Anteil für die Verwertung ihrer Arbeit zu zahlen, aber es sind viele.