70. Jahrestag der Befreiung Jüdische Gemeinde: Großes Glück und große Tragödie

Die Jüdische Gemeinde feiert den 70. Jahrestag der Befreiung — Herbert Rubinstein und andere erinnern sich.

Düsseldorf. An den 8. Mai 1945 kann sich Herbert Rubinstein nicht erinnern. Aber an den 3. Mai — als sein Vater, der als Dolmetscher in der Roten Armee dient, von versprengten deutschen Soldaten in Rumänien erschossen wird. Herbert, der später die neue jüdische Gemeinde in Düsseldorf mit aufbaut, ist da 9 Jahre alt. Er lebt mit der Familie in Czernowitz, damals Hauptstadt der Bukowina und ein einmaliger Kosmos der Religionen und Kulturen, „der mich sehr geprägt hat“.

Foto: David Young

Rubinsteins Mutter lernt dort kurz nach Kriegsende einen Mann in der Uniform der Roten Armee kennen. Es stellt sich heraus, dass er deutscher Jude ist, ein Auschwitz-Überlebender, der die Uniform von den Sowjets geschenkt bekam, weil er sonst nichts anzuziehen hatte. „Er wurde mein zweiter Vater, der uns 1946 erst nach Amsterdam holte, 1956 gingen wir dann nach Düsseldorf, in seine Heimatstadt“, erinnert sich der heute 79-jährige Rubinstein im WZ-Gespräch. Den ersten Vater tragisch verloren, einen zweiten auf wundersame Weise gewonnen: „Der Mai vor 70 Jahren war ein großes Glück und eine große Tragödie“, sagt Rubinstein.

Zunächst kommt er mental kaum damit klar, in das Land der Mörder zu gehen. „Sehr geholfen hat mir Paul Spiegel, er war ein Lebensfreund, für mich ein Bruder“, sagt er. Fortan engagiert er sich immer stärker in der jüdischen Gemeinde, 1972 geht er in den Gemeinderat (bis 1998), 13 Jahre ist er im Vorstand. Die 1994 eröffnete Yitzak-Rabin-Grundschule nennt er sein Baby, „die Kinder nannten mich Eismann, weil ich ihnen zum Schawuot-Fest Eis spendiert habe.“

Rubinstein gehört zu den Augenzeugen, die in der Dokumentation „Mai 1945 — Mai 2015“ von Wladislaw Korenblum zu Wort kommen. Der Film hatte gestern Premiere bei der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung.

Mehrere Mitglieder der Gemeinde erinnern sich darin eindrucksvoll. So Jolanka Abelski, die 1945, mit 14 Jahren, jüdische Zwangsarbeiter erlebt, die in gestreiften Pyjamas noch die letzten Schützengräben für die Deutschen ausheben müssen: „Ich habe heute noch Angst“, bekennt sie, „ ich habe meinen Kindern nie etwas erzählt von damals, damit sie nicht auch Angst haben.“ Oder Herta Tuchermann, die mit zwei Jahren ins KZ kam („Ich habe alles Schlimme gesehen“), und dieses Erlebnis der Befreiung erinnert: „Wir haben den russischen Soldaten zugejubelt. Einer hat mir ein Stück Schokolade geschenkt, aber meine Mutter hat es weggeworfen aus Sorge vor einer Vergiftung.“

Russische Veteranen sind Isaak Arones, der 1945 mit der Roten Armee Berlin einnimmt, und Zus Fucks, der nach vier Verwundungen das Kriegsende bei einem Sieges-Feuerwerk im Moskauer Gorkij-Park erlebt.

Herbert Rubinstein spannt den Bogen zur Gegenwart: „Wir sind angekommen. Der Jugend sage ich immer: Schlagt Wurzeln hier — aber seid nie blauäugig. . .“