Kinder in Not: Kinderschützer, Stadt und Ärzte kämpfen gegen Vernachlässigung

Das Netz an Hilfsangeboten für Familien ist in Düsseldorf sehr eng. Aber eine Garantie gibt es laut Jugendamt trotzdem nicht.

Düsseldorf. Fälle wie jener der Familie B. schockieren nicht nur, sie machen auch argwöhnisch — wie kann es sein, dass Kinder über lange Zeit unter solchen Zuständen leben und niemand etwas mitbekommt? Hat das Umfeld weggeschaut? Haben Behörden versagt? Experten halten das Netz in Düsseldorf für gut. Und doch, das weiß man auch bei der Stadt, fallen immer wieder Familien durch dessen Maschen.

„Wir sind auf Hinweise angewiesen“, sagt Johannes Horn, Leiter des Jugendamtes. 2012 gab es 1194 solcher „Kinderschutzmeldungen“ an die Stadt. Davon kamen laut Horn 101 von besorgten Nachbarn — wie im Fall der Familie B. —, 143 aus dem Umkreis der Familie. Viele auch von der Polizei: Die Beamten achten laut Sprecherin Susanna Heusgen etwa bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt auf den Zustand der Kinder und geben ihre Beobachtungen an die Stadt weiter. „Wir bewerten das und gehen der Meldung immer mit zwei Mitarbeitern nach“, erklärt Amtsleiter Horn. „Denn: Vier Augen sehen mehr als zwei.“

Ziel sei bei der Arbeit immer, das betont Horn ausdrücklich, gemeinsam mit den Eltern zu arbeiten, ihnen Hilfe bei der Erziehung oder auch nur im Haushalt anzubieten. „Das Jugendamt ist nicht die Behörde, die Kinder wegnimmt“, sagt Horn. „Sondern die Behörde, die Eltern dabei unterstützt, ihre Erziehungsaufgaben wahrzunehmen.“ Im vergangenen Jahr habe es nur zwei Fälle gegeben, in denen das Jugendamt Kinder wegen akuter Gefährdung sofort aus der Familie genommen habe. Deshalb ist es in den Augen des Jugendamtsleiters auch ein Gebot der Mitmenschlichkeit, dass Nachbarn, Kollegen und Freunde aufeinander schauen und im Zweifelsfall Hilfe beim Amt anfordern: „Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun.“

Auch der Kinderschutzbund erhält immer wieder solche Hinweise, sagt Geschäftsführerin Bettina Erlbruch. „Wenn die Familie sich aber zurückzieht, die Kinder nicht in die Kita gehen, fällt die Vernachlässigung nicht so schnell auf.“ Dann ist es für das Hilfssystem fast unmöglich, zu greifen. Irgendwann würden Kinder auch aufhören zu weinen, wenn sie merkten, dass niemand darauf reagiert. Die Kooperation mit den Eltern sei ohnehin oft schwer, weil die selber aus schwierigen Familien kommen. Kindererziehung hätten sie von ihren Eltern oft nicht gelernt. Und tatsächlich gebe es auch oft Vorbehalte gegen das Jugendamt.

Deshalb ist Johannes Horn froh, dass inzwischen über 97 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in Düsseldorf eine Kita besuchen, wo die Erzieher einen engen Draht zu den Familien halten. Auch bei den unter Dreijährigen liege die Versorgungsquote bei 38 Prozent. Auch Kinderärzte wie Hermann Josef Kahl sind heute sensibilisiert, bei den frühkindlichen Vorsorgeuntersuchungen auf Hinweise für Vernachlässigung zu achten. Kahl berichtet von Fällen, wo Kinder durch sprachliche Defizite oder Ungepflegtheit auffallen: „Dann sprechen wir die Eltern an, vermitteln Hilfe und haken auch nach.“ Es dürfe aber zunächst nichts gegen den Elternwillen geschehen. Selbstständig das Jugendamt anrufen darf ein Arzt erst, wenn er unmittelbare Gefahr für das Kind sieht, erläutert Kahl.

Anders sieht es aus, wenn eine Familie die Einladungen zur Vorsorgeuntersuchung komplett ignoriert. Dann bekommt sie laut Kahl wiederholt Post — und zuletzt sogar Besuch von der Stadt.

Es ist diese Prävention, die in den Augen von Johannes Horn besonders wichtig ist. Das Jugendamt versuche deshalb auch, so viele frischgebackene Eltern wie möglich ohne Anlass kurz nach der Geburt zu besuchen und auf Hilfsangebote für Familien in Düsseldorf hinzuweisen. Zudem arbeitet die Stadt beim Programm „Zukunft für Kinder“ mit den Geburtskliniken zusammen: Fällt den Ärzten oder Pflegern dort auf, dass eine junge Mutter gar keinen Besuch bekommt, depressiv ist oder ständig mit dem Kindsvater streitet, werden Gespräche mit dem Amt vermittelt. „Unser Netz wird immer enger und enger“, sagt Horn — und beim Kinderschutzbund stimmt man ihm da zu. „Aber trotzdem gibt es keine Garantie, dass wirklich keinem Kind etwas passieren kann.“