Düsseldorfer Schauspielhaus Brechts Puntila: Wehe, wenn die Kehle trocken bleibt
Brechts Puntila beweist erneut, welch extrem wandlungsfähiges Ensemble der neue Intendant an den Rhein geholt hat.
Düsseldorf. „Du bist fast ein Mensch, wenn Du besoffen bist.“ Milde, abgeklärt, aber auch a bissel von oben herab — so urteilt der Knecht, genauer: Chauffeur Matti über seinen Herrn Puntila. Letzterer wankt sturzbetrunken, kriecht auf allen Vieren oder sucht gerade mal wieder Halt auf dem steilen Abhang, den Sabrina Rox wie eine Riesen-Rutschbahn im Central auf die Bühne baute.
Die metallische Oberfläche des Bühnen-Bergs hat zur Folge: Die Schauspieler in Bertolt Brechts Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ kommen während der pausenlosen zweieinviertel Stunden ganz schön auf Trab und geraten permanent in Schräglage. Wenn’s brenzlig oder allzu hochprozentig wird, rutschen die Figuren, wie vergnügte Kinder, einfach den Abhang runter. Und wurden nach der Schauspielhaus-Premiere im Central herzlich gefeiert.
Diese Schräge ist Metapher für die Typen-Inszenierung von Jan Gehler, der ganz auf Spielkunst und Wandlungsfähigkeit seiner handverlesenen Darsteller setzt. Und sich der leicht modernisierten Fassung von Hella Woulijoki bedient. Denn Sätze, wie „Fickst Du sie anständig?“ — die Puntila seinem Chauffeur entgegenschleudert, wären Brecht 1948 (im Uraufführungsjahr) kaum eingefallen. Doch Sprache dieser Kategorie kommt nur selten vor und unterstreicht die Hemmungslosigkeit, mit der sich Puntila nach ein oder zwei Flaschen Aquavit gebärdet. Vielleicht dienen manche Modernisierungen auch dazu, um zu übertünchen, dass dieses Brecht-Stück aus der Nachkriegszeit heute kaum noch den Blutdruck hochschnellen lässt.
Es geht um Janusköpfigkeit der Titelfigur — sein Hin und Hergerissensein zwischen gutmütigem Kommunisten und bösem Kapitalisten. Ganz schön plakativ wirkt der Großbauer Puntila 70 Jahre nach der Uraufführung. Wenn er nüchtern ist, mutiert er zum Kotzbrocken, traktiert und demütigt seine Umgebung. Puntila behauptet und macht genau das Gegenteil von dem, was er kurz vorher, mit ein oder zwei Promille im Blut, von sich gegeben hat. Ein Strickmuster, das man ziemlich schnell durchschaut.
Daher flieht Jan Gehler in Schauspieler-Theater, schickt mit Andreas Grothgar als Puntila eine Rampensau nach vorne. Als trunkener Herr lässt Grothgar keine Kehle trocken, macht aber auch als eiskalter Geschäftsmann und herrischer Familienvater gute Figur. Und hat in Konstantin Lindhorst einen idealen Gegenpart.
Der 35-jährige Darsteller in Baseballkappe und Turnschuhen redet nicht viel. Misstrauen, Skepsis und Spott mischen sich in Lindhorsts Mimik, wenn er wie ein Beobachter locker am Rande steht. „Jawohl, Herr Puntila!“ wie eine Gebetsmühle herunterleiert. Und mitmachen muss, wenn sein trunkener ‚Herr’ in einem Redeschwall Matti umarmt, den Chauffeur rührselig seinen Bruder nennt, ihm seine Brieftasche gibt und nichts wissen will von sozialen Schranken. Nüchtern beschimpft er ihn dann wieder als einen Betrüger, will ihn entlassen und kann sich nur durch die Flasche retten.
Wen wundert’s, dass Matti am Schluss Reißaus nimmt. Ja, die Liebe des Schnapsseligen geht so weit, dass Matti sogar seine Tochter Eva (Cennet Rüya Voß) ehelichen soll. Letztere ist scharf auf den jungen athletischen Chauffeur, hat mit ihm — nur so zum Spiel — schon mal gebadet und sauniert. In einer Kammer, die sich hinter einer Türe am unteren Bühnenrand verbirgt. Denn es ist kalt in Finnland — dort, wo Brecht sein Volksstück ansiedelt. So pfeifen und heulen anfangs die eisigen Winde und lassen die frierenden Figuren in dicken Steppjacken und Mützen zusammenrücken. Ob altkluger Richter (Cathleen Baumann), dümmlicher Attaché (Alexej Lochmann) oder Apothekenfräulein (Hanna Werth) — auch sie bleiben Spielbälle von Herrn Puntila, ziehen als schräge, schrille Typen alle Register deftiger Komödie. Und beweisen erneut, welch ein facettenreiches, talentiertes und extrem wandlungsfähiges Schauspieler-Ensemble der neue Intendant an den Rhein gelockt hat. Von allen wird man hoffentlich noch viel hören und sehen.