Düsseldorf Düsseldorf ist Deutschlands Musikstadt Nr. 1
Nicht nur Kraftwerk und die Toten Hosen werden im Rest der Welt mit Düsseldorf assoziiert. Auch andere Künstler machen Düseldorf zur musikalischsten Hauptstadt Deutschlands.
Düsseldorf. Düsseldorf muss sich in der deutschen Musikwelt nicht verstecken. Alleine drei Bands des Düsseldorfer Labels JKP sorgen im jungen Jahr 2017 für Toppositionen der Media Control-Charts und ausverkaufte Tourneen durch die Arenen der Republik. Das Rap-Trio Antilopen Gang schaffte es mit „Anarchie und Alltag“ erstmals an die Hitparaden-Spitze. Auch den Broilers gelang mit ihrem siebten Album „(sic!)“ der Sprung von Null auf die Eins. Soeben beendeten sie ihre Frühjahrstour, bei der sie von über 160.000 Fans live erlebt wurden. Nebenbei holten sie sich den „Echo“ in der Kategorie „Rock National“ ab. Im Sommer gibt es ein Wiedersehen auf den großen Festivalbühnen.
Die nachhaltigste JKP-Veröffentlichung steht aber noch bevor. Die Firmenchefs höchst selbst, die Toten Hosen, veröffentlichen am 5. Mai ihr 16. Studioalbum „Laune der Natur“. Man kann sich auf 15 neue Titel (darunter auch „Kein Grund zur Traurigkeit“, ein Song ihres verstorbenen Ex-Schlagzeugers Wölli) freuen. Parallel dazu erscheint ihre zweite und sicherlich finale Lektion „Learning English Lesson 2“ mit satten 21 (!) Coverversionen anglophoner Punk-Klassiker der frühen 80er-Jahre - natürlich mit den Originalinterpreten im Duett. Zu den Höhepunkten dürften Evergreens wie „Nobody´s Hero“ (Stiff Little Fingers), „California über alles“ (Dead Kennedys) oder „Where´s Captain Kirk“ (Spizz Energi) gehören.
Bleibt die Frage, ob die Mittfünfziger noch mal in der Lage waren, einen weiteren Übersong zu komponieren. In ihrer Tourneeplanung meiden Campino & Konsorten ihre Heimatstadt leider genauso wie die Broilers und viele weitere Düssel-Musikanten. Dass aber selbst die konzertante Premierenfeier im Kölner Club „Gloria“ gefeiert wird, ist einigen Boulevard-Patrioten schon übel aufgestoßen. Kurioserweise geben sich die Hosen an dem Abend die Klinke mit ihren Düsseldorfer Veteranen-Kollegen der Fehlfarben (die am Vorabend an gleicher Stelle auftreten) in die Hand (4./5. Mai)!
Apropos Oldies but Goldies: Markus Wienstroer ist seit drei Dekaden als Berufs-Gitarrist unterwegs. Wenn er seine Saitenkünste nicht gerade Branchengrößen wie Westernhagen, Andrea Berg oder Suppi Huhn (live oder im Studio) zur Verfügung stellt, entwirft er mit seinem Trio eleganten Progressive-Jazz. „8PM“ heißt sein neues Album, das zwar vor Virtuosität strotzt, vor solistischer Selbstbeweihräucherung aber gnädigerweise absieht.
Nun also auch Der Plan. Nachdem das erste NDW-Revival relativ spurlos am Trio vorbeigegangen ist, erscheint Mitte Mai nach 25-jähriger (!) Pause das erste Lebenszeichen einer der wichtigsten Bands der Aufbruchsstimmung zu Beginn der 80er-Jahre. Unter der Devise „Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst“ gründeten die kreativen Drei das Label Ata Tak, das u.a. die Frühwerke von DAF, Andreas Dorau oder Element Of Crime veröffentlichte — und natürlich auch die eigenen Werke, mit denen sie die Idee der „Genialen Dilettanten“ vorwegnahmen.
Das Trio ist mittlerweile in alle Ecken des Landes verstreut, Moritz Reichelt lebt als freier Künstler in Hamburg, Frank Fenstermacher als Hotelier am Bodensee und Kurt Dahlke als Programmierer und Produzent in Berlin (allerdings kontrolliert er regelmäßig seine Soundinstallation in der U-Bahnstation an der Heinrich-Heine-Allee), konnte mit „Unkapitulierbar“, einer CD mit 15 neuen Liedern aber nahtlos an ihr Frühwerk anschließen. Titel-Fragen wie „Wie still ist ein Mucksmäuschen?“ werden mit Kindermelodien oder Reggae-Rhythmen unterlegt.
Ihre Texte sind mittlerweile nicht mehr nur originell naiv, sondern auch noch mit einer gehörigen Portion Altersweisheit beschlagen: „Man leidet wunderbar am Leben, man leidet herrlich an der Welt, und es ist immer nur das Drama, was einen dabei unterhält. („Man leidet herrlich“). Der Plan 2017 klingt so modern und zeitlos wie erhofft.
Zum Liebling des Feuilletons entwickelte sich der experimentelle Pianist und Komponist Volker Bertelmann alias Hauschka. Seine Filmmusik zu „Lion - Der lange Weg nach Hause“ war 2017 für die Golden Globes und die Oscars nominiert. Bertelmanns präpariertes Klavier spielt in mehr als 20 veröffentlichten Alben stets die Hauptrolle. Das gilt auch für sein neustes Werk „What If“, bei dessen vollmundigen Titeln wie „Trees Only Exist In Books“ oder „Constant Growth Fails“ man immer erwartet, dass jeden Moment Tom Waits zu singen beginnt. Auch Hauschkas „Salon des Amateurs“-Freunde von Kreidler vertonen ihre Befindlichkeiten rein instrumental. Und da sich diese unlängst aufgrund der aktuellen politischen Geschehnisse drastisch änderten, haben die Elektroniker ihre in wochenlanger Studioarbeit in Mexiko City eingespielten synthetischen Soundscapes kurzerhand verworfen und in der unspektakulären Umgebung eines Hildener Tonstudios ihre aktuelle Wut auf Xenophobie, Gewalttätigkeit und Rechtsruck vertont. „European Song“ verzahnt stringentes Schlagwerk mit nervösen elektronischen Sequenzen und rhythmischer Gitarren- und Bassarbeit. Ab Mai gehen Kreidler auf Deutschland-Tour - auch sie verzichten auf einen Heimspieltermin.
Kreidlers Stefan Schneider kompilierte auch die liebevoll gestaltete Sammlung (Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989) an der allerdings lediglich Archivare, Angehörige und Achtzigerjahre-Forscher Gefallen und Gewinn finden dürften.
Die düstere Vertonung einer Ära, in der sich Düsseldorf von einer Industrie-Stadt zum Las Vegas vom Niederrhein verwandelte, AIDS und nukleare Katastrophen den Jakobsweg zum Hedonismus jäh stoppten, wurden zumeist auf Kassetten unters Volk gebracht. Die relativ beatlosen Elektroklänge von Konrad Kraft, Strafe für Rebellion oder Dino Oon lassen inzwischen den Hörer zumeist allerdings ratlos zurück.
Für Cannabis-Connaisseure, Nostalgiker oder Nekrophile könnte das bislang unveröffentlichte Album der 2008 verstorbenen Krautrock-Legende Klaus Dinger interessant sein. Eingespielt mit Pre-Japandorf, japanischen Musikern aus Düsseldorf, die bei den Aufnahme-Sessions im Garten von Dingers berüchtigtem „Zeeland-Studio“ an der holländischen Küste campieren mussten, besteht „2000!“ aus sieben Stücken, denen man die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz regelrecht anhört.
Dass einem auch um den musikalischen Nachwuchs der Stadt nicht bange sein muss, dafür sorgen u.a. Kultur- und Jugendamt, die mit prominenter Jury-Hilfe (Dieter Falk, Philip Maiburg, Klaus Klöppel) regelmäßig aufstrebende Bands finanziell (10.000 Euro) und praktischen Tipps unterstützen. Im aktuellen Musikförderungsprogramm befinden sich zwei Newcomer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Love Machine tragen weite Hemden, lange Haare, volle Bärte und absolvieren ihre Konzerte gerne barfuß.
Wie zu Beginn der 1970er-Jahre lassen sie psychedelische, krautrockige Klänge auf Jazz, Blues, afrikanische und lateinamerikanische Rhythmen krachen. Gelingt es ihnen, ihre Schüchternheit live noch etwas abzulegen, könnten sie konzertante Granaten avancieren.
Die zweite Förder-Formation heißt Creeps. Kate und Frank, ein Duo, das neben dem Studium an der Kunstakademie „elektronischen Alternative-Pop“ produziert, den man im Irgendwo zwischen Lana del Rey und The xx verorten könnte. Auf der Bühne werden die stets mit Masken Verhüllten durch einen Mitstreiter und Effekte verstärkt. Beide Bands arbeiten an neuen Alben, die noch im Laufe des Jahres präsentiert werden.
Auch das Pärchen Lucas Croon und Christina Irrgang alias BAR bringt bald sein zweites Album heraus, das es zuvor live auf dem Open Source Festival vorstellen wird. Bereits erhältlich ist „Tempo“, das überraschendste Werk aus der Landeshauptstadt. Es stammt von Femcee Gato Misteriosa und Lee Bass alias Gato Predo. Der „schwarze Hahn“ stammt aus Portugal, hat Wurzeln in Mozambique und Ghana und seinen Schaffens- und Lebensmittelpunkt nach Düsseldorf verlegt. Auf Henry Storchs Label „Unique Records“ kam ihr Album-Debüt unter und sorgt mit ihrem Mix aus Favela-Funk, Kuduro und Afrohouse für brennende Tanzflure. „Dia D“ heißt der globale Dancefloor-Knüller und ist der heißeste Stoff, der es derzeit aus der schönsten Stadt am Rhein auf den Plattenspielern der Welt dreht.