Freies Theater Freie-Theater-Szene: Der Treff der Besten
Düsseldorf · Das Impulse-Theater-Festival als wichtigste Plattform fürs Freie Theater lädt wieder ein. In diesem Jahr findet das Hauptprogramm in Düsseldorf statt.
Seit über 25 Jahren gibt es das Impulse-Theater-Festival, das Treffen der Besten in freien Szene, neben dem Berliner Theatertreffen das wichtigste Theater-Festival im deutschsprachigen Raum. Hier wird mit neuen Formaten und neuen Ästhetiken experimentiert, aber auch das Theater als Genre kritisch befragt und erweitert. Vom 13. Juni bis 23. Juni gastiert das Festival wieder in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr. Dramaturg und Kurator Haiko Pfost fungiert zum zweiten Mal als künstlerischer Leiter. In diesem Jahr findet in Köln das „Stadtprojekt“ statt, wo vier Künstlergruppen sich mit dem „Angstraum Köln“ beschäftigen: Ängste vor offenen Drogen-Hotspots, vor dem Straßenstrich oder vor dem Islam nach der „Silvesternacht“ 2015. Im Mülheim an der Ruhr werden zwei „Akademien“ veranstaltet, wo sich Theaterschaffende und -Theoretiker über Kunstfreiheit und Selbstoptimierung beschäftigen. Für das Publikum am interessantesten ist aber der „Showcase“ in Düsseldorf. Elf Stücke werden im FFT, im Tanzhaus NRW, in der Brause, in der Botschaft am Worringer Platz oder im Reinraum zu erleben sein. Ein Überblick über die Höhepunkte:
Julian Hetzel: All Inclusive, 14.6., 21.00-22.30 Uhr, 16.6., 19.30-21:00 mit Publikumsgespräch, FFT Kammerspiele: Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigte bis zum 10. Juni, wie Fotografinnen den Krieg sahen: Bildnisse von Tod und Terror. Die Ausstellung kam gut an. Besucher betrachteten die Kriegs-Fotografien wie in einer Peep-Show. Motto: Schöner Schrecken. Ein Phänomen, das auch in das Stück „All Inclusive“ von Regisseur Julian Hetzel passen würde. Der gefragte Theatermacher inszeniert eine Satire darüber, wie Krieg, Gewalt und Horror zur Kunst und damit zu Geld werden. In einem Ausstellungsraum zeigt eine Kunstvermittlerin einer Besuchergruppe Kunstwerke, die sich mit Gewalt beschäftigen. Zu erkennen sind realistische Darstellungen von Gewalt, Abstraktionen von Gewalt, Objekte, die erst durch Gewaltakte der Ausstellungsbesucher zu Kunst werden sowie Reste von realer Gewalt. Wer besitzt das Recht, diese Werke zu verwerten? Der Künstler, der die brutale Realität in ein kunstmarkttaugliches Werk verwandelt hat? Oder die (Überlebens)Opfer der Gewalt, auf die sich die Kunstwerke beziehen?
Johannes Müller, Philine Rinnert: White Limozeen, 14.6., 19-20 Uhr mit Publikumsgespräch, 15.6., 21-22 Uhr, 16.6., 18-19 Uhr, Botschaft am Worringer Platz: Johannes Müller und Philine Rinnert bezeichnen die Oper als „große weiße und ultra-teure Limousine des Kulturbetriebs“. Das Repertoire dieser Gattung ist gespickt mit Stücken, die das Ferne und Fremde als exotisches Spektakel anpreisen. Mit der Praxis der „farbenblinden“ Besetzung gilt die Oper momentan aber auch als fortschrittlich: Aida kann Japanerin sein und der Jägerchor aus Carl Maria von Webers „Freischütz“ hat Eltern in Korea. Anhand der Oper „Madama Butterfly“ des berühmten italienischen Komponisten Giacomo Puccini führen Sopranistin Sarai Cole und Schlagzeugerin Sabrina Ma durch die Geschichte eines Genres zwischen Rassismus und einer Besetzungspraxis jenseits von Herkunft und Ethnie der Bühnenakteure.
Marcel Schwald, Chris Leuenberger: Ef_Feminity, 15.6., 21-22 Uhr, 18.6., 19-20 Uhr mit Publikumsgespräch, 21.6., 19-20 Uhr, FFT Juta: Die Schweizer Theatermacher Marcel Schwald und Chris Leuenberger wollten in ihrer Kindheit Mädchen sein. Mit ihrem Bühnen-Projekt „Ef_Feminity“ brechen durchbrechen sie traditionelle Geschlechtergrenzen und liefern einen Beitrag zur Debatte um Transgender oder Queering. Der Titel verbindet die Begriffe „Weiblichkeit“ und „Effemination“, was „Verweiblichung“ bedeutet und negativ besetzt ist. Zusammen mit indischen Performerinnen erzählt Leuenberger vom Kampf um Anerkennung der eigenen geschlechtlichen Identität.
Markus Öhrn: Häusliche Gewalt, 18.6., 18-23 Uhr, 19.6., 18–23 Uhr, 21.6., 17-22 Uhr, 22.6., 17-22 Uhr, am 19.6., 20-22 Uhr mit Publikumsgespräch, Botschaft am Worringer Platz: Sexuelle Nötigung, Körperverletzung, Mord – trotz alarmierender Zahlen gilt häusliche Gewalt hierzulande immer noch als ein großes Tabu. Der schwedische Regisseur zeigt alltäglichen Missbrauch in Dauerschleife. Als Vorlage dienten dem Künstler reale, vor Gericht verhandelte Missbrauchsfälle. Ein Paar in einer Wohnung, die überall sein könnte. Er und sie tragen riesige Pappmaché-Masken, sie sprechen nicht. Sie küssen sich, gurren, schmatzen, stöhnen oder weinen. Die Situationen kippen permanent: Gerade küsste sich das Paar noch, plötzlich knallt er ihr Handy hin und schlägt ihr ins Gesicht. Vom Geschehen scheinbar unbeeindruckt spielt im Eck ein Pianist am Flügel – wie im Stummfilm. Öhrn zeigt keine Einzelfälle, sondern austauschbare Schablonen von Liebe und Gewalt.
Dragana Bulut: Happyology – Tears of Joy, 20.6., 21:00-22:15 Uhr, 21.6., 21:00-22.15 Uhr mit Publikumsgespräch, Tanzhaus NRW, in englischer Sprache: Selbstoptimierung zählt längst zum Imperativ unserer Leistungsgesellschaft. Daraus ist ein boomender Wirtschaftszweig entstanden: Eine Flut von Buch-Ratgebern, Workshops, Trainings und Coachings, wie Wohlbefinden, Gesundheit, Fitness, positives Denken oder Zeitmanagement verbessert werden können. Als Königswege zum Glück werden von den Happiness-Päpsten die körperliche Fitness und Autosuggestion verkauft. Die Botschaft hinter diesen Konzepten für ein gelingendes Leben: Jeder kann es schaffen, wenn er sich nur genug anstrengt. Dass etwa soziale oder geschlechtliche Ungleichheiten manche berufliche Ziele von Individuen vereiteln, kommt in den Sphären der Life-Coaches oder Well-being-Kursleiter nicht vor. Die bosnische Choreografin Dragana Bulut tritt mit zwei Performern als Trainer auf die Bühne und testen mit den Zuschauern verschiedene Techniken zur Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens, etwa den „power stand“: Posieren Sie täglich mehrere Minuten lang wie Superman und schon steigt Ihr Selbstbewusstsein!