Kunst und Mode Wie Goethe einen Modemacher zu seiner Kollektion inspirierte

Düsseldorf · In der Schau „Farbenlehre for Fashion“ im Goethe-Museum erscheint der Dichter aber auch als Mode-Trendsetter.

Die schwarzen, weißen und bunten Rechtecke und Quadrate auf den „Colorama“-Kleidern erinnern an Werke aus der De Stijl- oder Bauhaus-Ära.

Foto: Thomas Frank

Wer den Hauptraum des Goethemuseums betritt, wähnt sich in einem Modegeschäft: Es wimmelt von Schaufensterpuppen mit bunten Kleidern. Vor dem Piano „schreitet“ ein Mannequin mit Bluse, Hose und Woll-Mantel daher – allesamt bedruckt mit gelb-blauen Farbkreisen auf schwarzen Rechtecken, roten, grünen und gelben Punkten auf weißen Rechtecken, gelben und blauen Rechtecken auf schwarzen Quadraten, orange-gelb-blauen Flammen oder herbstlich leuchtenden Berg-und Flusslandschaften. Daneben in der Ecke stehen drei Schaufensterpuppen mit Tunika-Bluse und Rock, Jackett, Bluse und Hose oder mit Mantel, Pullover, Wickelrock und Handtasche – aus Kaschmir, Seide, Intarsien aus Rosshaar und bunten geometrischen Formen: Schwarze, weiße und graue Quadrate treffen aufeinander, ebenso wie rot-blaue und rot-schwarze Rechtecke auf gelbe, rote oder violette Kästchen. In einer anderen Ecke  begegnet man Mannequins mit Mantel, Jackett, Hoodie und Kleid oder mit Bluse, Hose und Gürtel – diesmal komplett aus schwarzweißen Schachbrettmustern, Streifen und Rechtecken.

Modemacher Albert Kriemler ließ sich von Goethes Farbtafeln zu einer Kollektion inspirieren. Den Schwarzweiß-Look nennt er „Kaleidoscope“.

Foto: Thomas Frank

Kriemler faszinierte, wie modern Goethes Farbtafeln sind

Kapuzenkleid mit Goethes Farbtafeln im Zigarrettenschachtel-Format.

Foto: Thomas Frank

Die Outfits hat der Mode-Designer Albert Kriemler für das Schweizer Mode-Label Akris entworfen. Sie stammen aus der Herbst/Winter-Kollektion 2019/20. An den Wänden hinter den Mannequin-Gruppen hängen die Inspirationsquellen für die Kleidungsstücke: Keine Kunstwerke von Vertretern des Konstruktivismus, Suprematismus, De Stijl, Bauhaus oder der Op-Art, die das Abstrakte adelten, mit Farbflächen, Linien, geometrischen Formen oder optischen Effekten. Stattdessen: Die Tafeln „Zur Farbenlehre“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das überrascht, würde man mit den Bildern des Dichterfürsten doch eher Ornamente und Schnörkel verbinden. Goethe erweist sich mit seinen Farbtafeln bereits um 1800 als ein Pionier der abstrakten Moderne. Genau das hat Albert Kriemler fasziniert. Drei Farbtafel-Looks hat der 1960 geborene Designer kreiert: „Colorama“, „Kaleidoscope“ und „Panoply“. Es begann damit, dass er zum zehnjährigen Geburtstag der hauseigenen Handtasche aus Rosshaar (ein gern verwendetes Akris-Material) zum Biedermeier recherchierte, weil in dieser Epoche das Rosshaar eine wichige Rolle spielte. Dabei stieß Kriemler dann auf Goethes Farbenlehre.

Strenge geometrische Muster auf fließendem Stoff.

Foto: Thomas Frank

Wenige Tage, nachdem Kriemler seine Farbenlehre-Kollektion im März dieses Jahres auf der Pariser Fashion-Week präsentiert hatte, fragte das Goethe-Museum ihn, ob er für eine Ausstellung zu haben sei. Er stimmte zu. „Farbenlehre for Fashion. Akris & Goethe“ nennt Kuratorin Barbara Steingießer die Schau, die sich in drei Räume gliedert: Im ersten ist zu erleben, wie Albert Kriemler Goethes Farbtafeln in tragbare Textilien verwandelt hat. Im zweiten laufen zwei Filme, die zeigen, wie der Couturier von Goethe angeregt wurde und Catwalk-Szenen, in denen Models die Kleidungsstücke vorführen. Der dritte Raum macht mit Goethes Farbenlehre vertraut und zeigt den Dichter auch als Mode-Spezialisten.

Goethe experimentierte mit Farbschirmen und Prismen. Die Besucher können es ihm nachtun.

Foto: Thomas Frank

Goethe hielt nicht etwa den „Faust“ für sein wichtigstes Werk, sondern seine naturwissenschaftliche Abhandlung „Zur Farbenlehre“ (erschienen 1810). In drei Bänden mit rund 1500 Seiten setzt er sich didaktisch, polemisch, historisch und bildlich mit Eigenschaften, Zusammensetzungen und Wirkungen  von Farben auseinander. Anhand von Büchern, Briefen, Zeichnungen oder Aquarellen können sich Besucher in Goethes Farb-Studien vertiefen. Sie sind aber auch angehalten, selbst optische Experimente durchzuführen. Über Dreikant-Prismen lässt sich auf Farbschirme mit schwarzweißen, geometrischen Mustern schauen – es erstrahlen Farbspektren von gelbrot bis blauviolett.

Goethe hat sich aber auch damit auseinandergesetzt, wie unterschiedliche Farben auf Textilien wie Garn, Seide oder Wolle wirken. Als Staatsminister von Sachsen-Weimar-Eisenach lernte er in der Schweiz das Weberei- und Spinnerei-Handwerk kennen und schickte von dort aus Hanfgarn an die Spinnereien in Weimar, damit sie es kennenlernen. In seinen Werken beschreibt Goethe die Kleider auch immer sehr genau. Das berühmteste Beispiel ist die Werther-Tracht (blauer Frack mit gelber Weste und gelber Hose), die nach dem Erscheinen des Romans 1774 ein  Mode-Fieber auslöste. Gut zu sehen an Ausgaben des „Journal des Luxus und der Moden“, der „Vogue“ der damaligen Zeit: Da posiert ein Mann im Negligé, das von der Werther-Tracht beeinflusst ist.

Eine erhellende und experimentierlustige Ausstellung über Goethe als Inspirationsquelle für Modemacher und als ein von Mode inspirierter Dichter.

„Farbenlehre for Fashion – Akris & Goethe“, verlängert bis 24. November, Goethe-Museum, Jacobistr. 2, „Farbenlehre“-Kollektion bei Akris, Königsallee 27-31.