Interview: Ein Plausch in Goethes Gartenhaus
Am Dichter würde Heike Spies, Kustodin am Goethe-Museum, das Gespräch reizen. Als Mann wäre er nicht ihr Typ.
Düsseldorf. WZ: Frau Spies, wo würden Sie Goethe am liebsten im Sommer treffen?
Spies: In seinem Gartenhaus im Ilmtal. Das ist für den naturliebenden und künstlerisch arbeitenden Mann der beste Ort.
WZ: Was wäre das für eine Atmosphäre zwischen Ihnen und Goethe?
Spies: Eine freie und selbstbewusste. Wie ich überhaupt den Sommer mit einem großen Freiheitsgedanken verbinde. Es ist ein körperlich-sinnliches Erleben, man könnte nach draußen gehen, man hat den Blick ins Grüne. Ich empfinde die Weimarer Vegetation im Hochsommer immer bläulich-grün.
WZ: Sie sprechen von dem sinnlichen Erleben der Natur. Goethe liebte ja auch die Frauen. Würden Sie sich in ihn verlieben?
Spies: Ich muss mich ja nicht gleich verlieben. Aber ich würde mich sicherlich gut mit ihm unterhalten. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass er einem Gespräch mit mir nicht abgeneigt wäre. Wir würden auf einer Steintreppe draußen sitzen, einen Schluck trinken und reden.
WZ: Wäre er Ihr Typ gewesen?
Spies: Künstlernaturen sind komplexe Charaktere! Kreative Unruhe und gedankliche Abwesenheit, auch ausgeprägter Egoismus wären nichts für mich. Schaffensfreude und geistige Offenheit hingegen eher. Ja, das Gespräch - philosophisch-dichterisch - das würde mich reizen. Nicht an der Oberfläche bleiben, diesen Mann fordern im geistigen Sinne.
WZ: Worüber würden Sie sprechen?
Spies: Wir würden uns zum Beispiel über "Wilhelm Meister", die Klimaentwicklung oder die Auswirkung der modernen Medien in der Zukunft unterhalten.
WZ: Goethe ist ein Magnet für ausländische Besucher in Deutschland. Was suchen diese Menschen?
Spies: Sie suchen den Dichter, der über die Nationalität hinaus zur Identifikation einlädt. Einer, der als erster begonnen hat, kosmopolitisch zu denken, über Grenzen hinweg. Es ist das Menschheitliche, was die fremden Besucher in gleicher Weise anspricht. Sie wollen sehen, wie sich der Dichter in Wort und Bild ausgedrückt hat. Damit ist in Zeiten der Globalisierung die Bewahrung des Originals eine wichtige Aufgabe - als ein ganz verlässliches Objekt, das vermittelt werden kann an die Welt.
WZ: Was kennzeichnet Ihre Arbeit im Museum in dieser Jahreszeit?
Spies: Der Sommer beginnt eigentlich Mitte Juni mit dem Bücherbummel, dann geht man das erste Mal nach draußen. Das Sommer-Brauchtum hier in der Stadt ist ganz wichtig. Das Schützenfest der St. Sebastianus Schützen, die jährlich zum großen Empfang zu uns kommen. Das sind Rituale, die zum Sommer in Düsseldorf dazu gehören.
WZ: Sie sind eine Kennerin der Düsseldorfer Kulturszene. Wie empfinden Sie das kulturelle Leben?
Spies: Die Szene ist vielfältig, und es wird viel probiert. Die Museenlandschaft ist gewachsen. Wenn Häuser Besucherzahlen halten können, geschieht das vor diesem Hintergrund. Hervorhebenswert ist der Schwerpunkt Literatur mit dem Hofgarten-Ensemble Schauspielhaus, Theatermuseum, Goethe-Museum und dem Heine-Institut.
WZ: Experten empfehlen dem Land NRW, die Literaturszene mit einem Zentrum und einem Festival zu stärken.
Spies: Wir haben als Museum in der Vermittlung von Literatur einen wichtigen Auftrag. Das sollte man nicht zu groß anlegen, als Event oder mit einem Zentrum. Ich leite hier seit 1991 Literaturkurse und merke, dass die Teilnehmer sich Kompetenz aneignen möchten, Freude beim Lesen erfahren. Und auch jemanden fragen können: Was ist eine gute Interpretation?
WZ: Sie wünschen sich also keine lit.Cologne für Düsseldorf?
Spies: Nein. Dann haben wir wieder Büchertische ohne Ende und niemand weiß, was er kaufen soll. Literatur ist etwas so Diffiziles, individuell Aufzunehmendes, dass sich das Poetische in solchen Großveranstaltungen nicht vermitteln lässt. Richtig lesen kann man nur, wenn man allein liest.
WZ: Sie sind Vorsitzende der Theatergemeinde Düsseldorf. Wie hat Ihnen der Neuanfang am Schauspielhaus gefallen?
Spies: Wir haben hier sehr gute junge Schauspieler. Ich trenne klar Inszenierung und darstellerische Leistung. Die Inszenierungen sind zum Teil gewagt, es wird versucht, zeitgemäße Themen auf die Bühne zu bringen. Ich finde, dass die offen gespielte Brutalität - sei es in "Maria Magdalena", "Besuch der alten Dame" oder "Othello" - sehr nah herankommt. Das könnte man geistig durchdrungener inszenieren und damit sensibler anregen. Aber das ist nur meine Meinung.
WZ: Karin Beier hat die Kölner als neue Intendantin am Schauspielhaus im Sturm erobert. Das hat in Düsseldorf nicht geklappt.
Spies: Ich habe das Gefühl, dass das Ensemble in Düsseldorf unglaublich gearbeitet hat in den vergangenen zwei Jahren. Vielleicht ist jetzt so etwas wie eine Ermüdungserscheinung zu spüren. Insgesamt sind die Vorstellungen gut besucht.
WZ: Sie haben es mit charismatischen Männern zu tun - mit Goethe und mit Professor Hansen, dem Direktor des Museums. Wie empfinden Sie ihre Rolle als Stellvertreterin?
Spies: Ich bin sehr gerne Stellvertreterin, weil die Position mir viele Möglichkeiten lässt. Ich genieße großes Vertrauen, auch als beratendes Mitglied im Vorstand der Kippenberg-Stiftung. Meine Aufgabe sehe ich auch darin, mit diplomatischer Hand das ein oder andere zu regeln und so zur lebendigen Atmosphäre beizutragen - zum Beispiel an Menschen zu erinnern, die Geburtstag haben. Ich beantworte alle Briefe. Mir wird gesagt, ich sei die Seele des Hauses. Wir bilden eine kraftvolle Doppelspitze mit unterschiedlichen Temperamenten - einem männlichen und weiblichen Prinzip.