Konzert in Düsseldorf Kraftloser Auftritt von Motörhead
Die Band kann mit dem selbst vorgegeben Tempo nicht mehr Schritt halten. Und Lemmy Kilmister brüllt nicht mehr, sondern krächzt nur noch.
Düsseldorf. Die erste Pause gibt es bereits nach vier Songs. Da verschwindet Lemmy Kilmister für ein paar Minuten von der Bühne, während Philip Campbell zu einem erschreckend uninspirierten Gitarrensolo ansetzt, das durch die wie immer zu Dutzenden aufeinandergetürmten Lautsprecher jault. Weitere vier Songs später das gleiche Spiel, als sich Schlagzeuger Mickey Dee austoben darf: Knüppel aus dem Sack, Lemmy runter von der Bühne.
All das sagt viel über die Dramaturgie und die musikalische Qualität dieses Abends in der mit 7000 Zuschauern ausverkauften Halle an der Siegburger Straße aus. Und es sagt viel darüber aus, wie es im Jahr 2015 um Motörhead, die letzte noch lebende Bandlegende des harten Rock’n’Roll, bestellt ist: nicht allzu gut.
Motörhead rühmten sich ja seit Menschengedenken, die lauteste Band des Planeten zu sein. Und das sind sie ja tatsächlich bis heute. Aber das war es dann auch. Motörhead sind 40 Jahre nach ihrer Gründung nur noch Krach. So ein gewaltig lauter Krach, dass diejenigen, die keinen Gehörschutz tragen, neben den Gitarrenwänden und Basstrommel-Attacken auch noch ein stetes Grundrauschen hören, das einem das Trommelfell malträtiert.
Hinzu kommen die fiependen Rückkopplungen: Entweder können oder wollen die Techniker der Crew diese nicht in den Griff kriegen. Über 80 Minuten — so lange dauert das Konzert - — sind sie immer und immer wieder zu hören. Das ist dilettantisch.
Lemmy dagegen hört man so gut wie gar nicht mehr. Und wenn man ihn hört, dann hört man einen alten Mann, dem die Zähne im Mund zu fehlen scheinen und der früher brüllte und bellte und der heute nur noch krächzt und einen kraftlosen Eindruck macht. Als erste Zugabe gibt es gar ein Akustikset mit Bluesgeschrammel und einem Lemmy, der ein paar Töne aus der Mundharmonika bläst.
Früher hätte man das Spielen ohne Verstärker und Verzerrer im Falle von Motörhead noch als Blasphemie oder Skandal abgetan. Oder man hätte dazu Dinge gesagt wie: „Das ist ja so, als wenn Lemmy keinen Whiskey mehr trinken würde.“ Heute weiß man: Lemmy trinkt keinen Whiskey mehr. Er ist mit beinahe 70 Jahren auf dem Buckel, nach sich häufenden Tour-Absagen und mit einem Defibrillator im Herzen längst schon umgestiegen auf Wodka-O-Saft und Tee.
Motörhead im Jahre 2015 leben nur noch von drei Dingen: Von Show in Form des riesigen Flugzeugs, das bei den Klassikern „Bomber“ und „Overkill“ über der Bühne schwankt und dem die Band in Gedenken an die Terroropfer von Paris, wo Motörhead am vergangenen Sonntag ihren Auftritt absagten, eine Tricolore aufgesteckt hat. Vom unablässigen Monumental-Getrommel Mickey Dees, der gleichsam Tier und Maschine ist und die Songs gnadenlos nach vorne prügelt. Und von Nostalgie: Viele Fans tragen Uralt-Kutten mit Aufnähern des die Zähne fletschenden Band-Maskottchens Snaggletooth.
Das Bier spritzt. Die Haare fliegen. Motörhead sind eben Kult. Und einem Kult muss man huldigen. Auch dann, wenn er nicht mehr Schritt halten kann mit dem selbst vorgegebenen Tempo. Ein Besucher sagt nach dem Konzert: „Man möchte Lemmy an der Hand nehmen, ihn in einen großen Sessel setzen und ihm sagen: Tausend Dank für alles! Aber jetzt lass’ mal gut sein.“ Klingt vernünftig. Einzig: Die Vernunft siegt im Rock’n’Roll eher selten.