Mahn- und Gedenkstätte: Das Nazitum bleibt ein Rätsel

Bastian Fleermann, der neue stellvertretende Leiter, im WZ-Gespräch.

Düsseldorf. Mit Bastian Fleermann gewinnt die Mahn- und Gedenkstätte an der Mühlenstraße einen stellvertretenden Leiter, der sich bestens in der deutsch-jüdischen Geschichte auskennt.

Der Historiker, Volkskundler und Germanist überraschte im vorigen Jahr mit einer Dissertation zur jüdischen Alltagskultur im Herzogtum Berg. Nun führt er selbst Studenten, die jüdische Studien in Düsseldorf betreiben, durch die Stadt.

Der 30-Jährige sieht seine Aufgabe als Wissenschaftler sowie als Organisator von Veranstaltungen und Sonderausstellungen nicht einseitig als Spezialist für das Judentum: "Ich glaube nicht, dass es in Deutschland eine jüdische Geschichte gegeben hat, es gab immer eine deutsch-jüdische Geschichte. Die jüdische Geschichte ist Teil der deutschen Geschichte."

Warum er sich mit dem Nationalsozialismus beschäftige? "Weil ich ihn nicht verstehe. Das Wissen über den 30-jährigen Krieg könnte ich mir in zwei Jahren aneignen. Beim Nationalsozialismus kommt man nie dahinter."

Fleermann wird in den kommenden Monaten seine organisatorischen Fähigkeiten mehrmals unter Beweis stellen können. Zum 70 .Jahrestag der Novemberpogrome vom 9. November1938 wird Avi Primor in Düsseldorf erwartet. Der frühere Botschafter Israels in Bonn, eine der wichtigsten Stimmen im deutsch-israelischen Dialog, wird beim Festakt im NRW-Landtag sprechen, an dem die Mahn- und Gedenkstätte maßgeblich beteiligt ist.

Zuvor findet am 8. November der traditionelle "Gedenkgang" auf den Spuren ehemaliger Düsseldorfer Juden statt. In diesem Jahr wird das Schicksal der Rabbiner-Familien Max Eschelbacher und Siegfried Klein thematisiert. Heute etwa 80-jährige Kinder der Rabbiner werden zum Rundgang als Zeitzeugen erwartet; anschließend findet ein ökumenischer Gottesdienst in der Lambertus-Kirche statt.

Den Nationalen Gedenktag der Sinti und Roma, den die Landeshauptstadt und der Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW ausrichten, findet am 16.Dezember statt. Dann jährt sich zum 65. Mal der Tag des "Auschwitz-Erlasses" von Heinrich Himmler zur Deportation und Vernichtung der Sinti und Roma. Fleermann organisiert eine Ausstellung des deutsch-türkischen Künstlers Yildirim Denizli, der in den 90er Jahren in einem Übergangswohnheim im ehemaligen Jugoslawien Sinti und Roma porträtiert hat.

Darüber hinaus betreut er eine große Lokalstudie zur Pogromnacht vom 10. November 1938 in Düsseldorf. Er arbeitet mit großen Historikern wie Falk Wiesemann, Barbara Suchy, Frank Sparing oder Volker Zimmermann zusammen und sieht in der Koordinierung seine "größte Herausforderung".

Es geht um die Deportation polnischer Juden im Oktober 1938 und um die schweren Folgen für die jüdische Gemeinde nach dem Pogrom. In der Nacht vom 9. auf den 10. November gab es mindestens sieben Tote und 70 Schwerverletzte. Über 80 Prozent der Wohnungen und Geschäfte von Juden wurden zerstört. Die Katastrophe wäre noch verheerender gewesen, wären nicht fast die Hälfte der 5500 Juden in Düsseldorf zwischen 1933 und 1938 ausgewandert. Der Band soll Anfang November vorliegen, dann steht auch der Titel fest.

Bisher konnte sich die Mahn- und Gedenkstätte auf Zeitzeugen stützen, die es in zehn Jahren kaum noch geben wird. Fleermann denkt schon jetzt an die Zeit danach: "Unsere Gesellschaft wird zu einer Einwanderungs-Gesellschaft. Auch die jüdische Gemeinde ist durch die Zuwanderer aus Osteuropa verändert. Wir werden weiterhin an die Opfer denken, aber unter anderen Fragestellungen."